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Der Terror der Minderheit

Sie glauben, dass das Geschlecht eines Menschen an die Biologie gekoppelt ist? Passen Sie auf, dass die Transbewegung nicht auf Sie aufmerksam wird! Dann haben Sie nichts mehr zu lachen

Ich bin im Netz auf ein Interview der BBC mit einer Frau gestoßen, die berichtete, wie sie über Wochen und Monate an ihrem Arbeitsplatz eingeschüchtert und verfolgt wurde. Wenn sie morgens zur Arbeit erschien, wartete auf der Straße vor ihrem Büro schon ein wütender Mob, der sie beschimpfte und bedrohte. Wenn sie den Computer öffnete oder sich über das Handy auf einem der sozialen Kanäle bewegte, spie ihr blanker Hass entgegen.

Ihren letzten Tag an ihrer Arbeitsstelle beschrieb sie so: „Jedes Poster in dem Tunnel zum Eingang, den ich Hunderte Male gegangen war, trug meinen Namen. Als ich die Toilette betrat, sah ich, dass auf allen Türen in meinem Gebäude Sticker gegen mich klebten. Ich drehte mich um und rannte zurück zur Bahnstation, hyperventilierend.“

Die Frau heißt Kathleen Stock. Sie war bis vor Kurzem Professorin für Philosophie an der Universität Sussex. Vor zwei Wochen hat sie ihre Arbeit niedergelegt, weil sie die Nachstellungen und Beleidigungen nicht mehr ertrug. Transaktivisten hatten sie zur unerwünschten Person erklärt. „Stock raus!“ oder „Cancel Stock!“ lauteten die Parolen. Als die Polizei der Professorin riet, sich Personenschutz zuzulegen und ihr Haus elektronisch abzusichern, gab sie auf.

Stock blickt auf eine erfolgreiche Karriere als Wissenschaftlerin zurück. Sie ist seit Langem in der LGB-Community aktiv, wie sich die Lesben- und Schwulenbewegung heute nennt. Politisch stand sie immer links. Sie selbst bezeichnet sich als lesbische Frau, deren Sexualität keiner Norm folge. So hat sie es in ihrem neuesten Buch geschrieben, das vor wenigen Monaten in Großbritannien erschien: „A lesbian and sex-nonconforming woman“.

Stock vertritt die Ansicht, dass die Geschlechtsidentität an das biologische Geschlecht gekoppelt ist. Wer mit männlichen Genitalien auf die Welt gekommen sei, werde nicht einfach dadurch zur Frau, dass er sich zur Frau erkläre, sagt sie. Das reicht, um sie zur Hassfigur zu machen. Stock vertrete eine Bastardversion des Feminismus, deklarieren ihre Feinde. Sie stelle eine Gefahr für alle Transmenschen dar. Wer als Gefahr für andere gilt, muss aus dem Verkehr gezogen werden, das ist logisch.

Viele Zeitungen haben darüber berichtet, auch in Deutschland. Aber ich glaube, die volle Bedeutung ist nicht überall erkannt. Der Fall markiert einen Wendepunkt. Wenn wir zulassen, dass Menschen verfolgt und aus ihrem Job getrieben werden, weil sie an die Realität der Geschlechter glauben, dann sind wir auf dem Weg in einen langen, dunklen Tunnel, der noch sehr viel länger und dunkler sein wird als der, in dem Kathleen Stock gerade verschwunden ist.

Die Kampagne gegen die Philosophieprofessorin aus England ist nicht der erste Fall, bei dem sich Transaktivisten zusammenfinden, um jemanden zum Schweigen zu bringen. Vergangenes Jahr sah sich die Kinderbuchautorin Joanne Rowling Angriffen ausgesetzt, weil sie darauf beharrte, dass Ereignisse wie Periode, Empfängnis oder Geburt eines Kindes biologische Vorgänge sind, die Frauen von Männern unterscheiden.

Anfang des Jahres richtete sich die organisierte Empörung gegen die Kolumnistin des „Guardian“, Suzanne Moore. Moore hatte darauf hingewiesen, dass es nicht unproblematisch sei, wenn man einen Schwerverbrecher, der sich als Frau identifiziere, in ein Frauengefängnis sperre. 300 Mitarbeiter des Blattes wandten sich in einem Protestbrief an die Chefredaktion, Moore verließ kurz darauf die Zeitung. Seit Oktober läuft eine Kampagne gegen den Komiker Dave Chappelle und seine Show „The Closer“ auf Netflix, in der er neben Witzen über Weiße, Schwule und Juden auch Witze über Transgender-Leute reißt. Nun soll Netflix die Show aus dem Programm nehmen und sich entschuldigen.

Wer jetzt denkt: Na, ja, so etwas passiert in Großbritannien oder Amerika, aber das ist zum Glück weit weg, den muss ich enttäuschen. Unter den Unterzeichnern einer Erklärung, in der Stock als transfeindlich verleumdet wurde, findet sich auch eine Reihe von Namen aus dem deutschen Wissenschaftsbetrieb. Man würde gerne ein Wort mit ihnen wechseln, was sie unter Wissenschaftsfreiheit verstehen. Ich war versucht, an dieser Stelle ihre Namen zu nennen. Aber ich bin kein Genderaktivist.

Es ist schwer zu sagen, wie groß der Teil der Transgemeinde ist, der darauf besteht, dass Mann und Frau als Ordnungskategorien ausgedient haben. Transsexuelle können schon mal nicht dazu zählen, sonst würden sie sich ja nicht dem aufwendigen Prozess der Geschlechtsangleichung unterziehen.

Wo es an zahlenmäßiger Größe mangelt, hilft man mit Aggressivität nach. Immer wird sofort das Schlimmste angenommen und das Schlimmste unterstellt. Wäre man Dave Chappelle, würde man sagen, dass man eben nicht ungestraft in den Hormonhaushalt eingreifen kann. Aber so ein Witz verbietet sich von selbst.

Schon die versehentliche Verwendung eines falsches Personalpronomens kann einem als schwere Kränkung ausgelegt werden. Als verwerflich gilt auch das „Deadnaming“, also die Erwähnung des alten Namens, was insbesondere Medienorgane vor eine Herausforderung stellt, wenn sie ihren Lesern mitteilen wollen, dass der Prominente, den sie bislang als Ellen kannten, künftig Elliot heißt.

Wie schnell man in Schwierigkeiten gerät, hat Anfang letzten Jahres die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, erfahren müssen, als sie einen Schauspieler namens Heinrich Horwitz als Mann ansprach. Ich kenne Frau Schwan aus einer Reihe von Begegnungen. Ich kann meine Hand dafür ins Feuer legen, dass ihr nichts ferner liegt, als andere Menschen zu beleidigen oder herabzusetzen.

Dummerweise hatte sie vor der Begegnung nicht ins Kleingedruckte gesehen, wo stand, dass sich Heinrich Horwitz inzwischen als nicht-binär identifiziert. Es folgte ein gewaltiger Empörungssturm, in den sich auch die SPD-Spitze einschaltete. Nur ihrem vorgerückten Alter war es zu verdanken, dass sie am Ende einem Parteiausschlussverfahren entging.

Die klassische Emanzipationsbewegung zielt auf ein Ende von Benachteiligungen. Gleiches Recht für alle, das war die Forderung von Schwulen und Lesben, als sie sich gegen Diskriminierung und Zurücksetzung aufzulehnen begannen. Am Ende dieses Kampfes stand die Ehe für alle als Symbol für die Normalität des eigenen Lebensentwurfs.

Das Bemühen der Transbewegung geht darüber weit hinaus. Ihr genügt es nicht mehr, dass die Gesellschaft in gelassener Ignoranz auch denjenigen in Ruhe sein Leben führen lässt, der ganz anders ist – sie verlangt im Gegenteil die besondere Rücksicht- und Anteilnahme für alles, was außerhalb der Norm liegt. Das ist ein radikal neues Konzept im Kampf um Anerkennung. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man von der Mehrheitsgesellschaft erwartet, dass sie Toleranz walten lässt, oder ob man von ihr verlangt, dass sie sich nach den Empfindlichkeiten und Sprachcodes einer winzigen Minderheit richtet.

Es ist rätselhaft, dass sich kaum jemand traut, dem offensichtlichen Wahnsinn entgegenzutreten. Warum lässt man sich von einer kleinen Gruppe terrorisieren, die allen Ernstes jeden einer transphoben Gesinnung bezichtigt, der von menstruierenden Frauen und nicht von menstruierenden Menschen spricht. Vermutlich ist es die Feigheit, in der Szene nicht mehr als „Ally“, also als Verbündeter, zu gelten. Viele halten möglicherweise auch still, weil sie hoffen, so Angriffen auf sich selbst zu entgehen.

Ich glaube, dass die Rechnung nicht aufgehen wird. Wenn man einmal angefangen hat, überall Feinde zu sehen, kann man nicht mehr aufhören. In der neuesten Umdrehung steht nun der schwule Mann am Pranger. Wer seine Präferenz für ein Geschlecht offenbart, wer also als Mann sagt, dass er ausschließlich auf Männer stehe, die auch wie Männer aussehen, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er sei transphob. „Genitale Präferenz ist transfeindlich“, lautet das Kampfwort dazu.

Nicht jedem erschließt sich auf Anhieb, dass eine Vagina auch ein männliches Geschlechtsorgan sein kann. Die Überwindung der Biologie ist ein steiniger Weg.

©Michael Szyszka