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Mehr Trump wagen

Viele Politiker haben in Wahrheit Angst vor Menschen. Abstrakt finden sie Demokratie prima. Aber wenn es konkret wird, würden sie am liebsten davonlaufen. Kein Wunder, dass das Vertrauen in die Politik ständig sinkt

Einmal war ich mit Klaus Wowereit im Wahlkampf unterwegs. Der erste Stopp: ein Einkaufszentrum in Berlin-Lichtenberg. Die Zeitungen waren wieder voll mit Nachrichten, was alles in Berlin schieflief, aber Wowereit schnappte sich kurzerhand ein Bund Rosen vom Wahlkampfstand und rannte auf ein Rentnerpärchen am Eingang des „Ring Center“ zu.

„Na“, sagte er, „wie jeht’s denn so?“

Dann guckte er der Frau in die Einkaufstasche.

„Passen Sie auf, dass Ihr Mann nicht vom Fleisch fällt. Es sei denn, Sie wollen ihn nicht mehr.“ Allgemeines Gelächter.

Nächste Station dann ein Imbiss im ersten Stock. Vor Tellern mit riesigen Hawaii-Toasts zwei junge Frauen, die offenbar ihr zweites Frühstück einnahmen. Wowereit steuerte schnurgerade auf den Tisch zu und beugte sich hinunter.

„Na, die Portion ist ja auch nicht zu klein geraten.“

Kurze Schrecksekunde bei den beiden Imbisskundinnen. Dann erneut Gelächter.

Man kann nicht behaupten, dass sich Wowereit beim Wähler angebiedert hätte. Aber natürlich hatte er am Ende die Nase vorn. Wenn er gewollt hätte, wäre er auch ein viertes Mal gewählt worden – trotz Flughafen-debakel, mieser Pisa-Ergebnisse und brennender Autos. Er hat es dann vorgezogen, sich aus der Politik zu verabschieden, bevor andere meinten, es sei Zeit zu gehen.

Ich habe auch Christian Ude im Wahlkampf beobachtet. Bevor es zu den ernsten Themen kam: erst einmal zwei Gags zum Aufwärmen. So fing bei dem Münchner Oberbürgermeister der Abend an. Man kann das furchtbar unseriös finden, aber es ist eben sehr viel unterhaltsamer als diese papierenen Reden, in denen ein Programmpunkt nach dem anderen abgearbeitet wird.

Nach seiner langen Karriere als Bürgermeister war Ude als Stand-up-Comedian auf Tour. Auch das: hochzweifelhaft. Andererseits als Politiker einen Raum voller Leute zu unterhalten, die dafür sogar bezahlt haben, wer kann das schon? Das setzt ein gerütteltes Maß an Selbstironie-fähigkeit voraus. Einer der wenigen, die in Bayern über ein ähnliches komödiantisches Talent verfügen, ist der bayerische Justizminister Georg Eisenreich. Wenn mich nicht alles täuscht, steht dem Mann eine große Karriere bevor.

Warum ich das erzähle? Weil wir uns gelegentlich daran erinnern sollten, dass es vor noch gar nicht so langer Zeit Politiker gab, bei denen man nicht sofort in Deckung ging, wenn sie auftauchten. Wir denken, Politiker müssten so sein wie Olaf Scholz oder Friedrich Merz, also wie Leute, bei denen jeder weiß, dass es furchtbar anstrengend wird, sollte man versehentlich in Rufweite geraten.

Ich habe einmal den Fehler gemacht, mich bei einem Sommerfest neben Olaf Scholz zu stellen. Erst folgte ein Vortrag über die Anfänge der SPD in Hamburg-Wandsbek, dann ein Vortrag über die SPD in Hamburg-Volksdorf. Nach 30 Minuten habe ich einen Hustenanfall vorgetäuscht, der mich dazu zwang, mich aus der Gruppe der Zuhörer zu entfernen.

Heute steht das Volkstümliche unter Verdacht. Wenn ein Politiker einen anderen schmähen will, dann wirft er ihm vor, ein Populist zu sein. Besser Populist als Langweiler, würde ich sagen. Aber mit dieser Meinung stehe ich erkennbar auf verlorenem Posten.

Alle Augen sind dieser Tage auf Kamala Harris gerichtet. „Kann sie die Welt retten?“, lautet die Frage bei „Stern“, „Zeit“ und „Süddeutscher Zeitung“ – wobei die Frage ja bereits die Antwort beinhaltet. Allenthalben wird gerätselt, wie es einem verurteilten Straftäter mit erratischem Verhalten und aus-geprägten Rachefantasien gelingen kann, in den Umfragen so weit aufzuschließen, dass ein Wahlsieg immer wahrscheinlicher wird.

Was ist das Geheimnis von Donald Trump? Dass er sich nicht verstellt, wäre meine Vermutung. In einer Zeit, in der alles mehr oder weniger nur noch Fassade zu sein scheint, geht davon eine enorme Verführungskraft aus.

Trump ist immer ganz bei sich. Er sagt, was ihm durch den Kopf geht, egal, was die anderen dazu denken. Wenn ihn die Berater in eine Richtung zu schubsen versuchen, neigt er sich aus Prinzip in die andere. Man merkt ihm auch sofort an, wenn er sich geschmeichelt fühlt oder sich ärgert.

Vor zwei Wochen war Trump bei McDonald’s. Seine Gegenspielerin hatte behauptet, sie habe als Studentin bei McDonald’s gearbeitet. Also tauchte er in einem Drive Thru auf, zog sich eine Schürze an und ließ sich in die Bedienung der Fritteuse unterweisen. Anschließend trat er vor die Kameras und sagte, er habe jetzt mehr Zeit bei McDonald’s verbracht als Kamala Harris in ihrem ganzen Leben.

Klar, es war ein Stunt, eine Inszenierung, wie sie in ihrer Schamlosigkeit nur Trump einfällt. Aber das Bemerkenswerte war: Es war an keiner Stelle peinlich. Trump ist immer Trump. Er findet sofort einen Draht zu den Leuten, mit denen er spricht. Er verhält sich auch nie von oben herab oder anbiedernd.

Man muss sich nur für einen Moment vorstellen, Kamala Harris hätte sich an den Burger-Grill gestellt. Es hätte mit einem Vortrag über die Gefahren von Fast Food begonnen. Oder, schlimmer noch: Einem Bekenntnis, dass sie früher auch gerne mal in einen Burger gebissen habe, weil ihr plötzlich eingefallen wäre, wie wichtig es sei, ihre Verbindungen zur Arbeiterklasse zu unterstreichen. Trump hat so etwas nicht nötig. Wenn es nach ihm ginge, könnte es jeden Tag Big Mac geben.

Wer volkstümlich ist, steht im Verdacht, den intellektuellen Anforderungen des Amtes nicht gewachsen zu sein. Das muss man als Politiker aushalten können.

Ich erinnere mich an eine der ersten Pressekonferenzen mit Kurt Beck, nachdem sie ihn zum SPD-Chef bestimmt hatten. Beck konnte auf eine beeindruckende Reihe von Erfolgen verweisen, kaum ein Ministerpräsident war so beliebt wie er. Aber das nützte ihm nichts.

Schon wie er aussah, mit dem Mecki-Schnitt und dem eigenartigen Bart, gab Anlass zu Spott. Dazu die verwaschene Ausdrucksweise seiner pfälzischen Heimat. Alles an diesem Mann strömte Provinz aus. So wurde er auch behandelt, als Provinzei, das sich in die Hauptstadt verwirrt hatte, ein Missverständnis auf zwei Beinen.

Zwei Jahre ging das so, dann zog Beck sich schwer verwundet zurück. Noch Jahre später konnte er Auskunft geben, wie ihn die Verachtung und Hochmütigkeit der Berliner Blase getroffen hatte.

Meiner Beobachtung nach haben mehr Politiker Angst vor Menschen, als man meinen sollte. Sicher, abstrakt finden sie das Volk prima. Demokratie heißt schließlich, den Mehrheitswillen zu organisieren. Aber wenn es konkret wird, bekommen viele Beklemmungen.

Man sieht es an der verdrucksten Art, mit der sie sich dem Wähler nähern, so als gehe von diesem eine unbestimmte Gefahr aus. Da stehen sie dann vor dem Obststand oder der Werkbank und stellen unbeholfene Fragen, weil ihnen die Berater gesagt haben, sie müssten sich zugänglicher zeigen. Entsprechend groß ist die Erleichterung, wenn alles vorbei ist und man wieder im Wahlkampf-Bus hockt.

Vielleicht ginge es der Politik besser, wenn es weniger Berater gäbe. Jeder Politiker hat heute einen Tross von Leuten um sich, die darüber wachen, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Wehe, jemand durchstößt den Kokon, dann herrscht Panik.

Ich glaube, es gibt ein riesiges Bedürfnis nach Politikern, die so reden, dass man das Gefühl hat, sie meinen, was sie sagen. Die meisten von ihnen haben furchtbar Angst, etwas falsch zu machen.

Ich weiß, ich lehne mich hier weit aus dem Fenster, aber wenn ich einen Rat hätte, dann wäre der: mehr Trump wagen.

© Michael Szyszka

Nimmt Björn Höcke heimlich Botox?

Demokratie heißt, den Wählerwillen zu respektieren. Also: Björn Höcke als Ministerpräsident in Thüringen, unterstützt von Sahra Wagenknecht. Und ein Ende des Länderfinanzausgleichs. Welcher stolze Ostler will schon Geld aus dem Westen?

Ich war neulich für einen Auftritt in Duisburg. Der dortige Unternehmerverband hatte mich eingeladen, anlässlich seines Unternehmertages ein paar Worte zur aktuellen politischen Lage zu sagen. Meine Spezialität: dem Schrecken etwas Heiteres abgewinnen.

Ich weiß nicht, ob Sie schon mal in Duisburg waren. Ich hatte mir einen Mietwagen vom Flughafen genommen und dachte, als ich die Hauptstraße herunterfuhr: „Wow, wie fertig sieht das denn hier aus.“ Es tut mir leid für alle Duisburger, das so sagen zu müssen: Aber wenn es einen Preis für unmittelbar überwältigende Hässlichkeit gäbe, Duisburg wäre ein heißer Anwärter auf einen der ersten Plätze.

Drumherum sieht es nicht viel besser aus. Später am Abend gesellte sich der Oberbürgermeister von Mülheim da- zu, der sich mir als Bürgermeister der meist verschuldeten Kommune Deutschlands vorstellte. Zum Abschied gab er mir einen 0-Euro-Schein, den man im Rathaus hatte drucken lassen – als Gruß der Not.

Man sollte erwarten, dass die Leute in Duisburg und Umgebung alle wie sieben Tage Regenwetter dreinschauen. Aber nein, sie erscheinen erstaunlich gefestigt. Wenn ich die Stimmung beschreiben sollte, würde ich sagen: heiterer Stoizismus. Man ist sich einig, dass die Lage beschissen ist. Aber was soll man machen? Klagen ändert ja auch nichts. Also trifft man sich in geselliger Runde und macht einfach das Beste aus der Situation.

Wenn ich gefragt würde, was das schönste Bundesland ist, würde ich sagen: Thüringen. Ich weiß, ich muss aufpassen, damit mir die Bayern nicht böse werden. Jeder, der in Bayern lebt, geht selbstverständlich davon aus, dass der Herrgott persönlich über die Herstellung des schönen Bayernlandes gewacht habe. Also formuliere ich es vielleicht vorsichtiger: Durch Thüringen zu reisen, ist wie die Reise durch ein Märchenland. Sanft geschwungene Hügel und Täler, darin hineingetupft Wälder, die so aussehen, als hätten schon die Brüder Grimm sie durchschritten, und Städte, deren geschlossene Ensembles nahezu unerreicht sind.

Doch eigenartig, die Menschen wirken bedrückt, so als laste ein furchtbarer Alp auf ihnen. Wenn man sich mit ihnen unterhält, schaut man in ernste, beinah verzweifelte Gesichter. Die Ampel richte das Land zugrunde. Auf nichts könne man sich mehr verlassen, nicht einmal auf die Bahn. Dazu die vielen Migranten. Kurz: Deutschland ein einziges Jammertal, aus dem einen nur die AfD retten könne. Oder Sahra Wagenknecht, die Rosa Luxemburg der letzten Tage.

Das ist ja die Erklärung, die einem geboten wird, weshalb der halbe Osten Parteien wählt, die den Westen und seine Repräsentanten ablehnen: Frust über die aktuelle Lage.

Ich gebe zu, ich kann Menschen nicht ganz ernst nehmen, die Parteien wählen, deren Spitzenleute so aussehen, als ob sie irgendwas mit ihrem Gesicht haben machen lassen. Ich kann’s nicht beweisen, aber wenn Björn Höcke nicht gebotoxt ist, fresse ich einen Besen. Ist es schlimm, wenn sich jemand sein Gesicht mit Fillern aufplustern lässt? Nein, ist es nicht. Bei einem Politiker würde ich allerdings zur Vorsicht raten. Wer es bei der Beschäftigung mit sich selbst übertreibt, nimmt es in der Regel auch mit Wahlversprechen nicht so genau.

Woher kommt die schlechte Laune? Ich würde es wirklich gerne verstehen. Wobei schlechte Laune noch untertrieben ist. Es ist eher eine Melange aus Depression und Wut, bei der die Wut jederzeit die Depression ersetzen kann.

Wenn mir jemand sagen würde, ich müsste einen Abend mit Alice Weidel oder Sahra Wagenknecht verbringen, ich wüsste nicht, wie ich mich entscheiden würde. Vielleicht am Ende doch für Alice Weidel. Da kann man immerhin noch die vage Hoffnung haben, dass der fünfte Riesling für Entspannung sorgt. Das ist bei Wagenknecht ausgeschlossen.

Ich habe einmal einen Anflug eines Lächelns bei ihr gesehen. Es gibt auf YouTube den Ausschnitt einer alten Harald-Schmidt-Sendung, wo sie fragt, was denn für den Kapitalismus spräche, und Schmidt antwortet: „Na, mein Lebensstandard.“ Das ist so entwaffnend, dass sich sogar bei Wagenknecht für einen kurzen Moment die Mundwinkel heben. Aber der Auftritt liegt auch schon elf Jahre zurück. Das würde ihr heute nicht mehr passieren.

Ich habe nie verstanden, warum die Talkshows die eine Politikerin wie eine Inkarnation des Beelzebub behandeln und die andere wie eine seriöse Regierungskritikerin. Selbst der nette Herr Klamroth, dessen Herz so grün schlägt, dass die Haare in Komplementärfarbe leuchten, wird bei Wagenknecht schwach. Dabei ist es wirklich schwer, den Unterschied zu finden. Wenn man Reden von beiden zu Russland und Putin kopieren und dann die Namen schwärzen würde, kein Mensch könnte sagen, welche von wem stammt.

Auch ansonsten sind die Programme nahezu deckungsgleich. Der einzige Unterschied: Wenn Wagenknecht sagen könnte, wo es lang geht, würden nicht nur alle Flüchtlinge des Landes verwiesen, sondern die Reichen gleich mit. Beziehungsweise: Ihnen würden so hohe Steuern aufgebrummt, dass sie fluchtartig das Land verließen. Das gibt es bei der AfD nicht. Da halten sich die sozialpolitischen Vorstellungen im üblichen rechtssozialistischen Rahmen.

Und nun? Ich wäre dafür, Höcke machen zu lassen. Der erste Ministerpräsident der AfD, getragen durch die Unterstützung des BSW: Auch das ist Demokratie. Anstatt sich die Wagenknecht-Partei schönzureden, um die AfD von der Macht fernzuhalten, einfach den Wählerwillen akzeptieren – das ist nicht die schlechteste der möglichen Alternativen.

Außerdem würde man doch gerne mal sehen, wie die große diplomatische Initiative aussieht, die von Erfurt beginnend die Ukraine befriedet. Die Stationierung neuer US- Raketen auf dem Hunsrück wäre nach Lage der Dinge ebenfalls erledigt. In Thüringen leben zwar nur zwei Millionen Menschen, aber wenn es um den Frieden geht, zählt jede Stimme doppelt. Ach, was sage ich, doppelt? Fünffach!

Ich finde allerdings, keine Entscheidung ohne Konsequenz. Wer wie der thüringische AfD-Vorsitzende dem demokratischen Kartellsystem den Kampf erklärt und von der Schönheit des Widerstands spricht, sollte sich dann auch von der Korruption durch das Geld der Kartellmächte frei machen.

Ich habe mir die Transferzahlungen des Länderfinanzausgleichs angesehen. Die Länder, die am meisten von Überweisungen aus dem Westen profitieren, sind Berlin, Sachsen und Thüringen. 1,9 Milliarden Euro waren es im vergangenen Jahr für Thüringen, knapp 1000 Euro pro Kopf.

„Die endgültige Teilung Deutschland, das ist unser Auftrag“, lautet ein altes „Titanic“-Motto. Soweit würde ich nicht gehen. Aber warum nicht den Länderfinanzausgleich einstellen? Einige werden jetzt aufschreien und sagen, das sei undemokratisch, so etwas zu fordern. Denen kann ich nur antworten: Wer die Backen aufbläst, sollte auch pfeifen können.

Das hat mich schon bei den Ungarn immer gewurmt: Bei jeder Gelegenheit Europa den Stinkefinger zeigen, aber dann gerne die Milliarden aus dem Kohäsionsfonds annehmen. Ich finde, das hat etwas Würdeloses. Das ist wie bei den Bürgerkindern, die Revolution mit dem Geld von Papa spielen. Wenn schon System-Feindschaft und BRD-Bashing, dann richtig.

Vielleicht gibt es ja auch einen Zusammenhang zwischen schlechter Laune und Transfers. Das Gefühl, von anderen abhängig zu sein, führt jedenfalls in der Regel nicht zu Dankbarkeit, sondern zu Ressentiment.

Was das Botox im Gesicht von Björn Höcke angeht: Ich bin jederzeit bereit, eine Gegendarstellung zu akzeptieren. Ich erinnere mich noch, wie Gerhard Schröder verlangte, dass man nicht länger schriebe, er würde sich die Haare färben. Es gab dann einen länglichen Rechtsstreit, ob Tönen und Färben hinreichend verwandte Formen der Friseurkunst seien.

Der „Spiegel“ schrieb fortan vom Bundeskanzler mit dem dunkelsten Haaransatz seiner Generation. So können wir es gern auch bei Björn Höcke halten. Wir schreiben einfach: Der AfD-Führer mit dem glattesten Gesicht aller politischen Heiratsschwindler.

© Silke Werzinger