Warum hat der Verlag S. Fischer nach 40 Jahren die Zusammenarbeit mit seiner Autorin Monika Maron beendet? Politische Differenzen, das auch. Aber was, wenn der wahre Grund in der Feminisierung des Kulturbetriebs läge?
Ich war vor anderthalb Jahren in Dresden zu einer Lesung bei der Buchhändlerin Susanne Dagen. Ein Bekannter, der mit Frau Dagen befreundet ist, hatte mich gefragt, ob ich mal bei ihr auftreten würde. Seine Freundin lebe, neben dem Buchverkauf, vom Veranstaltungsgeschäft, es sei für sie aber immer schwieriger, Autoren zu gewinnen. Selbst langjährige Bekanntschaften würden absagen. Sie würden ihr nette Briefe schreiben, warum sie ihre Arbeit sehr zu schätzen wüssten, aber dann folge die Entschuldigung, man möge bitte, bitte verstehen, dass man der Einladung nicht folgen könne.
Susanne Dagen war einmal eine der angesehensten Buchhändlerinnen Deutschlands. Ihr Buchhaus Loschwitz wurde zweimal nacheinander mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet; zu ihren Kunden gehörten Prominente wie der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière und der Schriftsteller Ingo Schulze.
Dann machte sie den Fehler, ein Protestschreiben aufzusetzen, weil die Frankfurter Buchmesse den rechten Kleinverleger Götz Kubitschek aussperren wollte. Als man sie darauf hinwies, dass Leute wie Kubitschek kein Umgang für eine angesehene Buchhändlerin seien, zuckte sie mit den Achseln. Wie viele Ostdeutsche kann Dagen in Haltungsfragen ziemlich stur sein. Sie hat dann aus Trotz mit der Frau von Kubitschek eine Lesereihe auf YouTube gestartet. Seitdem gilt sie ebenfalls als rechts.
Die Dagens waren schon in der DDR dagegen. Die Mutter unterhielt in Dresden eine Galerie. Wenn die Familie im Urlaub war, kam es vor, dass die Mutter nach Hause zurückmusste, weil gerade mal wieder einer ihrer Künstler in Ungnade gefallen war und die Bilder von der Wand sollten.
Wer der Stasi getrotzt hat, hat keine Lust, sich sagen zu lassen, mit wem er zu verkehren hat. Ich verstehe das. Ich kann es auch nicht leiden, wenn man mir sagen will, wen ich treffen darf und wen nicht, und dabei habe ich noch nicht mal mit der Stasi zu tun gehabt.
Wie gefährlich es ist, mit Frau Dagen befreundet zu sein, hat dieser Tage die Schriftstellerin Monika Maron erfahren. Der Verlag S. Fischer hat mit Verweis auf die Bekanntschaft nach 40 Jahren die Zusammenarbeit beendet. Maron hat in einer Schriftenreihe ihrer Freundin ein kleines Essay-Bändchen veröffentlicht. Als die Fischer-Verlegerin sie per Mail aufforderte, sich von dem Buch zu distanzieren – eine Praxis, die Maron aus der DDR kannte – weigerte sich die Autorin. Maron kann ebenfalls ziemlich stur sein.
Viel war in der letzten Zeit von der sogenannten Cancel Culture die Rede, also dem Versuch, missliebige Meinungen zu unterdrücken, indem man Auftritte verhindert oder die Absage von Publikationsplänen erzwingt. Inzwischen glaube ich, dass die Dinge komplizierter liegen. Nicht der Versuch, Menschen am Reden oder Publizieren zu hindern, ist das eigentliche Problem. Das wahre Problem ist die Feigheit der Leute, die einfach Nein sagen müssten, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Im Grunde ist es doch ganz simpel: Man muss die Cancel-Culture-Rufe nur ignorieren. Niemand kann einen zwingen, eine Lesung abzusagen oder sich von einem Autor zu trennen, wir leben ja nicht in der DDR. Notfalls holt man den Staatsschutz.
Der Druck von außen wird oft maßlos überschätzt. Über die Zahl von 30 bis 40 Aktivisten, die sich gegenseitig anfeuern, reicht die Cancel-Culture-Clique selten hinaus. Ursächlich für die Feigheit ist die Angst vor den eigenen Mitarbeitern, den Lektoren, Übersetzern und Verlagsangestellten, die sich in einem S. Fischer Verlag ohne Monika Maron wohler fühlen als in einem mit ihr. Das ist der Druck, dem sie sich an der Spitze nicht gewachsen fühlen. Dass immer nur Autoren, die als rechts gelten, ein Problem darstellen, nie linke, gehört dabei zu den Eigentümlichkeiten des Verlagsgeschäfts. Wer links ist, kann den größten Unsinn von sich geben, das gilt dann als mutiger Aufschrei einer empörten Seele.
Die Änderung der Verlagswelt spielt auch eine Rolle. An die Stelle von Verlegern, die ihre Autoren als Mitglieder einer erweiterten Familie betrachteten, sind vielerorts Verlagsmanager getreten, die außerhalb der Branche kaum jemand mehr kennt und die Vertragsverhältnisse als rein juristische Position sehen.
Unter der aktuellen „Spiegel“-Geschichte über das Zerwürfnis zwischen Monika Maron und dem Fischer-Verlag stehen vier Namen, darunter zwei Kultur-Ressortleiter. Keinem der Redakteure war aufgefallen, dass die Fischer-Verlegerin Liv Bublitz, wie sie in dem Artikel genannt wird, in Wirklichkeit Siv Bublitz heißt.
Wer will den Redakteuren einen Vorwurf machen? Frau Bublitz ist sicher eine tüchtige Frau, an der der Holtzbrinck-Konzern, zu dem S. Fischer gehört, viel Freude hat. Sie ist halt nur nicht das, was man eine Verlegerpersönlichkeit nennt, also jemand, der sich schon aus Gründen der Selbstachtung dem Druck, den man auf ihn ausübt, entgegenstellen würde.
Vielleicht muss man das Ganze nicht als Krisensymptom, sondern als Begleiterscheinung einer Feminisierung des Kulturbetriebs verstehen. Bevor jetzt alle über mich herfallen, füge ich vorsichtshalber hinzu, dass ich damit eine Stilfrage meine, nicht notwendigerweise eine des Geschlechts.
Hören wir nicht ständig, wie wichtig es sei, dass man alle mitnimmt und sich achtsam und inklusiv verhält? Wenn jemand bei einem Text ein Unbehagen oder Unwohlsein verspürt, dann wird darauf selbstverständlich eingegangen.
Die Übersetzerin findet, dass in der Anthologie mit den 100 schönsten Naturgedichten zu wenig afrikanische Autorinnen vorkommen: Um Gottes willen, natürlich, wir müssen unbedingt mehr für die Sichtbarkeit afrikanischer Gedichtkunst tun! Die Lektorin bei Blanvalet hat Bauchschmerzen bei dem neuen Krimi von Joanne Rowling, weil in den Zeitungen steht, dass Frau Rowling transfeindlich sei? Ein wichtiger Einwand, vielleicht sollte Blanvalet sein Engagement grundsätzlich überdenken.
Ich halte es nicht für die vordringliche Aufgabe von Kultur, Wohlbehagen zu erzeugen, aber das ist zweifellos eine Privatmeinung. Was nicht mehr ganz so privat ist, sind die Folgen der neuen Wohlfühlkultur, in der sich alle mitgemeint und mitgedacht fühlen. Wer darauf getrimmt ist, Konflikte zu moderieren, statt sie auszuhalten, ist total aufgeschmissen, wenn er unerwartet Rückgrat zeigen soll.
Manchmal wünsche ich mir die Verleger zurück, die sich nicht darum scherten, ob einer links oder rechts war, sondern nur, ob er etwas zu sagen hatte. Uns wird gepredigt, die Zeit breitbeinig auftretender Männer sei vorbei. „Breitbeinig“ ist geradezu zum Synonym für „verachtenswert“ geworden. Der Vorteil des breitbeinigen Auftritts ist allerdings, dass man fest auf der Erde steht, wenn ein Sturm kommt. Eine breitbeinige Person bläst so schnell nichts um.
Neulich gab es bei Kiepenheuer & Witsch einen Aufstand, weil sich im Lyrikband des Rammstein-Sängers Till Lindemann ein Gedicht fand, aus dem man mit ein wenig bösem Willen herauslesen konnte, dass der Autor Sex mit betäubten Frauen gut fände. An den Verlag erging die Aufforderung zur sofortigen Entfernung aller Lindemann-Bücher aus dem Verlagsprogramm.
Die Reaktion des Alt-Verlegers Helge Malchow: Er wies darauf hin, dass man in der Literatur aus gutem Grund zwischen Fiktion und Realität unterscheide, weshalb es bis heute üblich sei, dass man einen Autor nicht für Äußerungen seiner Geschöpfe zur Rechenschaft ziehe. Die Reaktion seiner Nachfolgerin, der braven Kerstin Gleba: eine lange, gewundene Erklärung, wie ernst man die Perspektiven und Argumente der Kritiker nehme, verbunden mit dem Versprechen, diese „wertvollen Impulse“ künftig stärker in der Verlagsarbeit zu berücksichtigen.
Ich glaube, ich bin für mehr breitbeinige Frauen im Kulturleben. Meine Verlegerin bei Random House, wo mein neues Buch erschienen ist, ist übrigens eine Frau. Sie sehen also, Standfestigkeit ist wirklich keine Frage des Geschlechts.