Seltsame Wesensveränderung bei Olaf Scholz: Eben noch stand der Finanzminister für strikte Haushaltsdisziplin, nun gibt er das Geld aus, als gäbe es kein Morgen. Bange Frage: Wurde Scholz heimlich ausgetauscht?
Was ist mit Olaf Scholz passiert, unserem Finanzminister? Er sieht aus wie Scholz. Er hat die Stimme von Scholz. Aber er redet nicht mehr wie Scholz. Wenn es jemanden im Bundeskabinett gab, der auf Haushaltsdisziplin achtete, dann der Mann aus Hamburg. Für die Verteidigung der schwarzen Null war er sogar bereit, die eigenen Leute vor den Kopf zu stoßen, worauf sie nicht ihn, sondern zwei No Names zu Parteivorsitzenden wählten.
Und nun? Nun gibt er das Geld aus, als ob es kein Morgen gäbe. Auf 218 Milliarden Euro belaufen sich die Schulden für dieses Jahr, ein einsamer Rekord. Im nächsten Jahr kommen nach ersten Schätzungen noch mal 96 Milliarden dazu. Für alle und alles ist Geld da: für die Mütter, denen es an der Rente mangelt, für die Piloten der Lufthansa, für die Kurz und Geringbeschäftigten, denen der Staat bis zum Jahr 2022 ihren Lohn garantiert.
Wenn man Scholz fragt, ob man nicht irgendwo sparen könnte, zuckt er die Achseln. Oder sagt: Wir geben so viel aus, da wollen wir doch jetzt nicht kleinlich sein. Dass er sich inzwischen sogar für eine Koalition mit den Leuten von der Linkspartei erwärmt, ist so gesehen nur folgerichtig. In der schönen Welt des Sozialismus ist immer genug Geld da: Entweder wächst es auf den Bäumen, oder man nimmt es von den Reichen, wer immer unter diese Kategorie gerade fallen mag.
Ich kann mir die Wesensveränderung bei Scholz nur so erklären, dass ihn die Niederlage beim Kampf um den Parteivorsitz innerlich gebrochen hat. Manchmal haben traumatische Erfahrungen für Menschen verheerende Wirkungen. Sie sind dann einfach nicht mehr sie selbst. Oder, andere Erklärung: Sie haben den „Scholzomat“ heimlich ausgetauscht – wie in dem berühmten Horrorfilm „Invasion of the Body Snatchers“, wo die Bewohner einer Kleinstadt durch äußerlich identische Doppelgänger ersetzt werden.
Das würde auch erklären, warum sich die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter Borjans so leicht auf Scholz als Kanzlerkandidaten verständigen konnten. Die Wähler sollen Zutrauen zur SPD fassen. Sie sollen sagen: Das ist ja unser alter Olaf Scholz, der wird schon aufpassen, dass kein Unsinn passiert. Und dann, zack, ist die Wahl vorbei, und es stellt sich heraus, dass Scholz gar nicht mehr der Scholz ist, den sie kannten.
Ich mag Scholz. Wir kommen beide aus Hamburg, das verbindet. Die hanseatische Herkunft erklärt auch, warum er oft so gehemmt wirkt. Als die strengen Corona Regeln gelockert wurden, ging ein Seufzer der Erleichterung durch Hamburg: endlich zurück zu den gewohnten fünf Metern Abstand! Ich habe außerdem nichts gegen Leute, die langweilig sind. Langweiler sind gewissenhaft. Wenn alle in der Regierung wie Andi Scheuer wären, gäbe es ein heilloses Durcheinander. Ich mag auch Scheuer. Aber es kann in jeder Runde nur einen von seiner Sorte geben.
Man sollte bei Scholz allerdings nicht den Fehler machen, sich von ihm in ein Gespräch verwickeln zu lassen. 15 Minuten dehnen sich da schnell zu drei Stunden. Ich spreche aus Erfahrung. Bei einem politischen Sommerfest in Berlin war ich letztes Jahr so unvorsichtig, mich in ein Gespräch über die wechselvolle Geschichte des Ortsverbands Hamburg Wandsbek hineinziehen zu lassen. Ich hätte nicht gedacht, dass man über die historische Entwicklung von Wandsbek mehr als zwei Sätze verlieren kann. Ich habe mich geirrt, wie ich feststellen musste.
Es folgte dann noch die Geschichte des Ortsverbandes Hamburg-Harburg und die des Ortsverbandes Bargteheide. Mein Rat: Wenn Sie jemals auf einer Party Olaf Scholz begegnen sollten, tun sie so, als müssten sie erst noch ganz dringend jemand anderes begrüßen.
Aber wer weiß, vielleicht haben wir uns schon immer in ihm getäuscht. In der „Süddeutschen Zeitung“ fand sich neulich eine lange Recherche, wie Scholz als Bürgermeister in Hamburg der Warburg Bank eine Steuerschuld von 47 Millionen Euro erließ. Ich muss das anders formulieren: Scholz hat sich mehrfach mit dem Chef der Warburg Bank getroffen, der ihm seine Steuersorgen vortrug, worauf das Finanzamt die Steuerschuld vergaß.
Er könne sich an den Inhalt der Gespräche nicht mehr erinnern, sagt Scholz, er habe aber keinen Einfluss auf das Finanzamt genommen. Klingt zugegebenermaßen etwas abenteuerlich. Deshalb soll sich jetzt auch ein Untersuchungsausschuss mit dem Vorgang befassen.
Noch rätselhafter ist sein Verhalten im Wirecard- Skandal. Ein Finanzminister hat viel zu tun, da kann man sich nicht um alles kümmern, das verstehe ich. Wenn ich allerdings als Minister in der Zeitung lesen würde, dass sich ein Dax-Konzern, dessen Finanzzweig von meinen Leuten überwacht wird, in merkwürdige Transaktionen verstrickt hat, dann würde ich mal nachfragen lassen, was da los ist. Es war auch nicht irgendein Käseblatt, das Anfang 2019 über Unregelmäßigkeiten im Asiengeschäft von Wirecard berichtete, sondern die „Financial Times“, die angesehenste Finanzzeitung der Welt.
Was haben sie stattdessen bei der BaFin, der dem Finanzministerium unterstehenden Finanzaufsicht, gemacht? Den Redakteur der „Financial Times“ wegen des Verdachts auf Insiderhandel verklagt. Er habe den Aktienkurs auf Talfahrt schicken wollen, um sich zu bereichern. Nun ja, wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Nicht zugunsten der BaFin.
Wenn Sie jetzt denken, das hat sicherlich personelle Konsequenzen gehabt, muss ich Sie enttäuschen. Keine Frage, wer einer Behörde vorsteht, die nicht bemerkt, dass 1,9 Milliarden Euro lediglich auf philippinischen Fantasiekonten existierten, der ist vermutlich nicht der richtige Mann, um die Sicherheit des Finanzplatzes Deutschland sicherzustellen. Sehe ich auch so, aber so sieht man es nicht in der Welt, in der Olaf Scholz lebt. Der Arbeitsplatz für Felix Hufeld, den Chef der BaFin, ist sicher. Dafür bürgt der Finanzminister persönlich, egal, was kommt.
Zum Beispiel das. Der grüne Abgeordnete Danyal Bayaz hat eine Kleine Anfrage ans Finanzministerium gestellt, wie es denn mit den Aktiengeschäften der BaFin-Mitarbeiter aussah. Ergebnis: Die 94 Mitarbeiter, die für die Verfolgung von Insidergeschäften und Marktmanipulationen zuständig sind, haben bis zum Absturz mit keiner Aktie so viel gehandelt wie mit der von – ja, genau – Wirecard.
Das ist ein wenig so, als würden die Aufseher im Casino sich nach getaner Arbeit an den Roulettetisch setzen und sich von den Croupiers, die sie tagsüber überwacht haben, die Chips zuteilen lassen. Eine eigenartige Arbeitsauffassung, würde ich sagen. Vom Bundesfinanzministerium war in einer ersten Stellungnahme zu hören, man habe die Regeln überprüft und für streng und angemessen befunden.
Wenn es ein Land gibt, das Verlässlichkeit und Korrektheit liebt, dann doch Deutschland, dachte ich immer. Aber so ist es, wenn man den ganzen Tag zu hören bekommt, dass man zu traditionell und zu alt und zu verknöchert sei. Dann sagt man sich irgendwann: Wir müssen auch mal was wagen! Warum nicht mal eine Firma in den Dax holen, die ganz anders ist. Jung und schillernd und digital, um diesen verstaubten Klub von Großkonzernen aufzumischen.
Alt und verstaubt waren sie bei Wirecard nicht. Ein Unternehmen, das mit der Zahlungsabwicklung der Glücksspiel- und Pornobranche groß geworden ist – viel jünger und schillernder geht es nicht. Dagegen ist jeder Bordellbesitzer ein hochseriöser Unternehmer. Bei dem weiß man wenigstens, womit er sein Geld verdient.
Wenn ich darüber nachdenke, dann hätte ich doch gerne den alten Olaf Scholz zurück. Also den Vor-Warburg-, Vor-Wirecard-, Vor-Megaschulden-Scholz. Aber vielleicht habe ich mir den immer nur eingebildet, möglicherweise gab es den nie. Das wäre allerdings eine noch größere Enttäuschung als der Wirecard-Skandal.