Ist Luisa Neubauer eine Antisemitin? Nein, sie hat nichts gegen Juden im Speziellen. Sie ist einfach gerne auf jeder Party dabei. So wie die meisten, die ihre Solidarität mit Gaza erklären und dabei auch Hardcore-Israel-Hasser umarmen
Wie ernst soll jemand mit 26 Jahren genommen werden? Wie verantwortlich ist man in diesem Alter fürs eigene Handeln?
Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Jette Nietzard, hat ein kurzes Video aufgenommen, in dem sie ihre Position zum Krieg in Gaza erklärte. Sie stellte dabei die Familien, die am 7. Oktober 2023 auf bestialische Weise ermordet wurden, auf eine Stufe mit den Opfern des Anti-Terror-Krieges in Gaza. Das Massaker an 1200 jüdischen Männern, Frauen und Kindern bezeichnete sie als „Militäroperation“. Dass die Hamas in Teilen der Linken als antikoloniale Widerstandsbewegung gilt, das wusste man. Dass dies offenbar auch für die Spitze der Grünen Jugend gilt, war neu.
Im linken Kosmos hieß es anschließend entschuldigend, Nietzard sei schließlich noch eine junge Frau, die zudem selbst vielfachen Anfeindungen ausgesetzt sei. „Unerträglich ist es, dass sie schon seit Langem als junge Frau von einem rechten Mob zur Zielscheibe gemacht wird. Sie hat unsere Solidarität!“, schrieb ihr Parteifreund Michael Bloss auf X. Möglicherweise habe ich die neueste Wendung der feministischen Theorieentwicklung verschlafen: Auf mich wirkt der Verweis auf Alter und Geschlecht ziemlich altbacken, um nicht zu sagen antifeministisch. Junge Frau plappert, bis der Arzt kommt – aber da sie eine junge Frau ist, darf man das nicht so ernst nehmen?
Ich hatte eine längere Diskussion mit einem Freund, der meint, der Krieg in Gaza sei für viele Menschen ein Kulminationspunkt. Ich bin da nicht so sicher. In den Medien sind sie alle furchtbar besorgt, das schon. Doch darüber hinaus? Die Mehrheit der Deutschen sieht das Vorgehen der israelischen Armee skeptisch. Über 60 Prozent äußern in Umfragen Kritik. Aber dass nun alle mit den Palästinensern fiebern würden, daran glaube ich nicht.
Die Bürger sind ja nicht blöd. Sie sehen die Leute, die bei uns auf der Straße Bambule machen, und denken sich ihren Teil. Zum Beispiel denken sie sich: Wenn diese Krawallbrüder und -schwestern nur einen Bruchteil der Energie in die Ausbildung ihrer Kinder stecken würden, wäre allen geholfen.
Es ist eher erstaunlich, dass nicht noch mehr Leute die Kriegsführung Israels ablehnen. Wer den Fernseher anmacht oder den „Spiegel“ aufschlägt, muss den Eindruck gewinnen, dass eine wild gewordene Soldateska alles daransetzt, Gaza von der Landkarte zu tilgen.
So gut wie nie liest man, dass die Hamas die Verluste in der Zivilbevölkerung zu maximieren versucht, indem sie sich in Schulen, Krankenhäusern und Kindergärten versteckt. Es ist auch nie davon die Rede, dass viele Palästinenser Hunger leiden, weil die Hamas einen Gutteil der Hilfslieferungen abzweigt, um sie als Machtmittel einzusetzen. Es ist übrigens auch die Hamas, die eine Waffenruhe ablehnt, und es ist auch die Hamas, die angedroht hat, jeden zu erschießen, der von den Israelis Hilfsgüter annimmt.
Unter Promi-Linken ist Gaza-Solidarität das große Ding, so gesehen hat mein Freund recht. Da werden offene Briefe geschrieben, Petitionen verfasst und Schiffe gechartert. Und von Luisa Neubauer über Kurt Krömer bis Greta Thunberg sind alle dabei.
Ich habe mir die Besatzungsmitglieder der „Madleen“ angesehen, die vergangene Woche von Sizilien aus in See stach, um den Belagerungsring um Gaza zu durchbrechen. Auf vielen Fotos posierte Greta Thunberg neben einem jungen Mann mit Bart, der leicht als Thiago Ávila zu identifizieren war, ein brasilianischer Aktivist, der den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah bei der Trauerfeier als „geliebten Führer“ würdigte.
Deutschland wiederum war an Bord durch Yasemin Acar vertreten. Ich habe Frau Acar das erste Mal wahrgenommen, als sie Videos postete, wie sie in ihrer
Wohnung vor Freude Veitstänze aufführte, als der Iran zum Schlag gegen Israel ausholte und 200 Raketen über die Grenze schickte.
Wenn es gegen Israel geht, gibt es keine Zurückhaltung mehr. Wenige Stunden bevor die israelische Marine das Schiff stoppte und in den Hafen von Aschdod brachte, setzte Lusia Neubauer einen flammenden Appell an die Bundesregierung ab, sich für Acar einzusetzen. „Weltweit verfolgen Menschen die humanitäre Mission der Madleen auf dem Mittelmeer“, schrieb sie. „Das Team rechnet in diesen Stunden mit allem. Somit liegt es akut auch in der Verantwortung der Bundesregierung, für den Schutz der Crew bzw. Yasemin politisch einzustehen.“
Der „Bild“-Redakteur Filipp Piatov fand dazu den treffenden Kommentar: „Es gibt tatsächlich deutsche Staatsbürger in Not. Sie befinden sich seit mehr als 600 Tagen in Geiselhaft der Hamas.“ Fairerweise muss man sagen: Die Geiseln liefern auch nicht so schöne Bilder wie Thunberg und ihre Freunde. Mit einer instagram-tauglichen Segeljacht im Mittelmeer können sie leider nicht dienen.
Gaza-Betroffenheit ist ein politisches Fashion-Item – so wie der Kampf gegen den Klimawandel oder der Einsatz für mehr Transrechte. Letzte Saison haben sich alle die Regenbogenflagge umgelegt, diese Saison trägt man halt Palituch. Es geht darum, sich im Gespräch zu halten.
Ist Luisa Neubauer eine Antisemitin? Ich bin überzeugt, dass sie nichts speziell gegen Juden hat. Sie ist einfach gerne auf jeder Party dabei. Wenn es angesagt ist, seine Solidarität mit Israel zu zeigen, findet man sie bei der „Nie wieder“-Demo. Wenn Pali-Solidarität hoch im Kurs steht, drückt sie eben Hardcore-Israel-Hasser wie Yasemine Acar ans Herz. In einem anderen Leben hätte sie statt Schutz für Yasemine freies Geleit für Ulrike und Andreas gefordert – und noch früher noch etwas ganz anderes.
Ihre Solidarität hat die Halbwertszeit einer Insta-Story. Und wenn sie unglücklicherweise doch einmal auf dem falschen Fuß erwischt werden sollte, setzt sie eine Entschuldigung ab und sagt, dass sie falsch verstanden wurde.
Auch Jette Nietzard hat sich entschuldigt. Ihr habe nichts fernergelegen, als die Hamas hochleben zu lassen. Hat die Entschuldigung sie dazu verleitet innezuhalten, bevor sie den nächsten Post absetzte? Natürlich nicht. Sie hat einfach ihr Gaza-Soli-Video gleich noch einmal hochgeladen, dieses Mal ohne den Verweis auf die „Militäroperation“ am 7. Oktober. An ihrem Engagement für die palästinensische Sache soll schließlich kein Zweifel aufkommen.
Das Foto der Woche ist für mich das Bild von Greta Thunberg, wie sie bei Ankunft in Aschdod ein abgepacktes Brot und eine Wasserflasche erhält, um sie von den Strapazen der Seereise zu erlösen. Das ist das Bild, das am Ende einer langen Bildergalerie steht: das Foto eines israelischen Soldaten, der ihr freundlich ein Sandwich reicht.
Von den 50 Kilogramm Mehl, die die Freedom Flotilla schnell noch im Supermarkt besorgt hatte, um den Belagerten von Gaza ein symbolisches Geschenk überbringen zu können, hat man hingegen nichts mehr gehört.
Wobei, Selbstkorrektur, das ist nicht ganz richtig. „Israel stoppt Schiff mit Hilfsgütern für Gaza“, lautete die Überschrift der Meldung in der„Tagesschau“. Wenn es um Gaza geht, erneuert sich für die „Tagesschau“ sogar das Pfingstwunder: Dann reichen auch 50 Tüten Mehl zur Speisung der 5000.
© Silke Werzinger