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Unter Belagerung

Hinter den Deutschen liegen zwei aufregende Wahlkampf-Wochen. Fünf Lehren – über alte weiße Frauen, die moralische Überlegenheit der Linken und ProSieben als Bastion der Anständigkeit

Noch zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Was lehrt uns der Wahlkampf? Vielleicht Folgendes:

  1. Das Alter macht leider auch böse

Im Konrad-Adenauer-Haus, der Bundesgeschäftsstelle der CDU, haben viele schon Angela Merkel mit Hingabe gedient. Ich erinnere mich an den Wahlabend 2005, als es so aussah, als könnte Merkel knapp die Wahl verloren haben. Nicht wenige waren damals den Tränen nahe.

Seit Tagen ist das Adenauer-Haus unter Belagerung. Tausende versammeln sich vor der Parteizentrale, um allen, die für die CDU einstehen, ihre Ablehnung zu zeigen. Am Donnerstag voriger Woche musste die Polizei den Mitarbeitern empfehlen, das Haus zu räumen, weil ernst zu nehmende Drohungen eingegangen waren. Und was macht Angela Merkel in dieser Situation? Veröffentlicht ein Statement, in dem sie sich von ihrer Partei distanziert und damit allen recht gibt, die vor der CDU-Zentrale aufmarschieren. Kein Wort zu den Drohungen und Beleidigungen, kein Wort zu den Einschüchterungen.

Manche denken, das Alter mache milder. Angela Merkel ist der Beweis, dass es auch böser und selbstsüchtiger machen kann. Eine selbstsüchtige Person war sie immer. Mutti war schon zu Amtszeiten ein in jeder Hinsicht unpassender Begriff. Tatsächlich hat kein anderer Regierungschef so sehr darauf geachtet, die Bürger gewogen zu stimmen. Deshalb ist das Land ja auch in dem Zustand, in dem es ist.

Es gehört schon eine besondere Form des Narzissmus dazu, ausgerechnet die Leute hängen zu lassen, die sich für einen ins Zeug gelegt haben. Gerhard Schröder hat nach Ausscheiden aus dem Kanzleramt ebenfalls nur noch auf eigene Rechnung gearbeitet. Aber er ist seiner Partei zumindest nicht öffentlich in den Rücken gefallen.

Was treibt Merkel? Sie erträgt die Vorstellung nicht, dass nach ihr wieder jemand von der CDU ins Kanzleramt einziehen könnte. Der ideale Kandidat war so gesehen Olaf Scholz, der sich als sozialdemokratischer Nachlassverwalter verstand. Schon bei Armin Laschet hat sie keine Hand gerührt. Sie hat das damit begründet, dass es ihrer Rolle als Ex-Kanzlerin nicht angemessen gewesen wäre, sich in den Wahlkampf einzumischen. Aber das war immer Mumpitz. Sie wollte einfach nicht helfen.

Einen Trost gibt es: In der politischen Hölle hält der Teufel einen speziellen Platz für Menschen frei, die alle verraten, die treu zu ihnen hielten.

  1. Nur tote Juden sind gute Juden

Vor wenigen Tagen am SPD-Wahlkampfstand. Das Kind greift nach den Gummibärchen, schon ist man im Gespräch. „Na, der Merz hat sich ja ganz schön verzockt“, sagt einer der Wahlkämpfer. „Ach“, sage ich, „schauen wir mal, wie es am 23. Februar ausgeht.“

Von der Seite nähert sich eine Frau mittleren Alters mit zwei Olaf-Scholz-Buttons am Revers: „Mit Nazis paktieren in der Woche des Holocaust-Gedenktags!“, ruft sie. Das ist das Argument, das jetzt nahezu unweigerlich kommt, wenn man mit Sozialdemokraten diskutiert: aber der Holocaust-Gedenktag!

Meine Antwort lautet: „Nie wieder“, finde ich super. Allerdings fände ich es noch besser, wenn es einem nicht nur zu Gedenktagen einfallen würde. Deutschland hat die höchste Zahl tätlicher Angriffe auf Juden gemessen an der Größe der jüdischen Bevölkerung, wie aus einer aktuellen Berechnung der Antidefamation League hervorgeht.

Was ich nicht gesagt habe, aber hätte sagen sollen: Der effektivste Schutz jüdischen Lebens ist die Abweisung von Menschen, denen von klein auf eingebimst wurde, Juden zu verachten. Es gibt unter den Flüchtlingen aus Afghanistan und Pakistan sicher viele anständige Kerle. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man jemand ins Land lässt, der üble Vorurteile hegt, ist halt ziemlich groß.

Ich glaube, die Wahrheit ist: Links der Mitte schert man sich nicht wirklich um Antisemitismus. Das fällt einem immer ein, wenn man die eigene Argumentation moralisch aufbrezeln will. „Nie wieder ist jetzt“, heißt es auch in dem Aufruf, den eine Reihe von Schauspielern veröffentlichte, um gegen den Bruch des „historischen Konsens“ zu protestieren, darunter bekannte Namen wie Daniel Brühl, Jella Haase und Karoline Herfurth.

Ich habe mir die Liste der Unterzeichner angesehen. Es sind ziemlich genau die gleichen Leute, die nie die Zähne auseinanderbekamen, als jüdische Studenten bedroht und bespuckt wurden. Die eisern schwiegen, als an den Unis das Siegeszeichen der Hamas auftauchte und Vergewaltiger und Mörder als Widerstandskämpfer glorifiziert wurden. Aber wenn es gegen Friedrich Merz geht, entdecken sie plötzlich ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde in Deutschland.

  1. Die größten moralischen Knallchargen kommen von ProSieben

Apropos Zivilcourage. Natürlich finden sich auf der Liste auch wieder die Namen von Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt, den beiden politischen Schwergewichten von ProSieben. Da fiel mir ein: Als der umtriebige „Welt“-Reporter Frédéric Schwilden die beiden vor anderthalb Jahren kontaktierte, ob sie ein paar Sätze der Anteilnahme für die in Deutschland lebenden Juden hätten – nichts Politisches, nichts zum Nahost-Konflikt, einfach nur ein Zeichen der Solidarität – antworteten deren Agenten, dass man leider aus zeitlichen Gründen absagen müsse. Auch die Nachfrage, ob eventuell zu einem späteren Zeitpunkt, ging ins Leere: „Leider sehen wir in naher Zukunft generell keine Kapazitäten.“

So gesehen muss man sagen: Wie schön, dass die zwei Rassismusexperten ihre Sprache wiedergefunden haben.

  1. Hetzer sind immer die anderen

Um was es am Ende bei der Abstimmung am Freitag im Bundestag ging? Um das Wort „Begrenzung“. Das war der Begriff, den die SPD partout nicht in dem Gesetzesentwurf der CDU sehen wollte und weshalb sie ihre Zustimmung verweigerte. Wäre ja auch zu schade gewesen, wenn man die Gelegenheit, Merz als Faschistenhelferlein hinzuhängen, hätte ungenutzt verstreichen lassen.

Ein Freund von mir, SPD-Mitglied seit 38 Jahren, sagt, er schreie regelmäßig den Fernseher an, wenn dort Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionschef, auftauche. So weit ist es bei mir noch nicht. Aber ich kann ihn verstehen.

Mützenich steht für alles, was die SPD heute unausstehlich macht: Nichts hinbekommen, das Land in drei Jahren so runtergerockt, dass buchstäblich gar nichts mehr funktioniert. Aber dafür den ganz hohen Ton anschlagen. Mich erinnert er in seiner verlogenen Rechtschaffenheit an einen dieser Evangelikalen, die von den Freuden der Treue predigen und dann beim Kaffeekränzchen mit der Gemeinde, den Frauen heimlich in den Ausschnitt starren.

  1. Die Mehrheit findet man nicht auf der Straße

Im Netz kursiert ein Augenzeugenbericht von der großen Brandmauer-Demo in Augsburg. Danach wurden folgende Forderungen erhoben: Aussetzung jeglicher Abschiebungen. Verbot der AfD. Und Befreiung von der Marktwirtschaft. Anschließend sangen alle im Chor: „Scheiß Friedrich Merz“.

Der Aufstand gegen Rechts wird gerne als Protest der Mitte verkauft. Aber in Wirklichkeit ist er zu einem Gutteil ein Gruppentreffen der Versprengten diverser Weltrevolutionen. Noch zwei Wochen solche Umzüge – und die CDU steht am Wahltag bei 35 Prozent.

In die Wahlkabine darf ja leider kein Vertreter des Anstands-Deutschlands. Das wäre natürlich der Traum: Wahlabgabe nur unter Aufsicht, damit niemand sein Kreuz an der falschen Stelle setzt. Aber bislang scheitert das an den Wahlgesetzen. Also ist man am 23. Februar auf die Einsicht der Wahlbürger angewiesen.

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass Hunderttausende auf die Straße gingen, um gegen die Remigrationspläne der AfD zu demonstrieren. Und dann? Dann landete die SPD bei der Europawahl auf dem schlechtesten Ergebnis seit 1887. Ich habe das extra nachgeschaut: 1887, da ging es bislang noch einmal tiefer hinab.

© Silke Werzinger