Mit den Grünen ist es wie mit allem, was gut und teuer ist: Man muss sie sich leisten können. Die klimagerechte Gesellschaft ist nichts für arme Schlucker. Um dabei zu sein, braucht es auch die entsprechenden Mittel
Viele Leute in meinem Milieu verhalten sich nach dem Motto: links reden, rechts leben. Ich halte es andersherum. Also rechts reden, links leben.
Meine Kinder bringe ich morgens im Lastenfahrrad zum Kindergarten (Ganztagskita, da Dual Career Couple). Für den Weg ins Büro nehme ich die S-Bahn. Im Juni kommt die Solaranlage aufs Dach. Solardächer gibt es ja leider noch nicht, anders als die grüne Parteivorsitzende meint, wenn sie im „Bild am Sonntag“-Interview ankündigt, Solardächer bei Neubauten zur Pflicht machen zu wollen.
Bislang muss man sich noch mit Solarpanels behelfen. Aber auch so darf ich mich zu den Vorzeigebürgern zählen: 11 kWp, plus Energiespeicher. Wenn endlich die Sonne vom Himmel brennt, wie von Fridays for Future versprochen, bin ich ab Sommer autark. Der nächste Schritt ist dann der eigene Brunnen. Dann brauche ich auch die Stadtwerke nicht mehr.
Gut, der SUV trübt ein wenig die Ökobilanz. Aber erstens ist es ein Volvo, der geht irgendwie als grün durch. Und haben wir nicht außerdem gerade gelernt, dass der SUV unter Anhängern der Grünen besonders beliebt ist?
Die Marktforscher der Beratungsfirma „Puls“ haben bei Menschen, die in den vergangenen zwölf Monaten ein Auto erworben haben (oder daran denken, in den nächsten sechs Monaten eines zu erwerben), nachgefragt, welchen Typ sie bevorzugen. 16,3 Prozent der Grünen outeten sich als Geländewagen-Fans, so viele wie bei keiner anderen Partei. Am schlechtesten schnitten Sympathisanten der Linkspartei ab. Für die ist Klassenkampf noch ein Begriff: Die sind für die SUV-Industrie und ihre Verheißungen verloren.
Den grünen Lebensstil muss man sich leisten können. Die klimagerechte Gesellschaft ist nichts für arme Schlucker. Sorry, dass ich das so deutlich sage. Um mithalten zu können, braucht man nicht nur das richtige Bewusstsein, sondern auch die entsprechenden finanziellen Mittel.
Schon ein Blick auf die Stromrechnung zeigt, dass die Klassengesellschaft nicht verschwunden ist, nur weil keiner mehr darüber redet. Fragen Sie mal einen Möbelpacker, was er davon hält, dass wir in Deutschland heute die höchsten Strompreise in Europa haben. Ich bin sicher, er wird einem mit ruhiger Stimme auseinandersetzen, dass die Energiewende nun einmal ihren Preis habe.
„Aber die Förderung, die Förderung!“, höre ich jetzt einige rufen. Leider gilt auch hier: Wer hat, dem wird gegeben. Das ist wie mit dem Milliardär, der noch in der ärgsten Wirtschaftskrise sein Vermögen mehrt, weil er über Anlagemöglichkeiten verfügt, auf die kein normaler Bürger Zugriff hat. Die Solaranlage wird großzügig von der Gemeinde gesponsert. Auch für das Lastenfahrrad gibt es in München einen Zuschuss, vorausgesetzt, es ist elektrisch.
Ich habe mich im Netz umgesehen, was die aktuellen Ausführungen kosten. Das Einsteigermodell Babboe City-E schlägt mit 2749 Euro zu Buche. Beim Urban Arrow, einem unter trendbewussten Eltern derzeit sehr beliebten E-Bike, muss man 4750 Euro auf den Tisch legen. Das sind für viele Menschen drei Jahresurlaube. Aber mei, dafür gondelt man dann garantiert CO2-neutral durch die Gegend.
Auch über das eigene Dach für die Fotovoltaikanlage verfügt, Gott sei’s geklagt, nicht jeder. Dass die grünen Pläne den Traum von der eigenen Immobilie noch weiter in die Zukunft schieben werden, darf als ausgemacht gelten. In Berlin haben sie in einem Großexperiment erprobt, welche Auswirkungen die Mietpreisbremse hat, die jetzt ins grüne Wahlprogramm soll. Die Zahl der angebotenen Mietwohnungen hat sich binnen eines Jahres halbiert. Dafür stiegen die Preise für Eigentum um 12 Prozent.
Mir soll es recht sein. Ich habe schon gekauft. Als neulich in meiner Gemeinde Bürgermeisterwahlen waren, habe ich für die grüne Kandidatin gestimmt. „Mehr Radwege sind doch gut, das hebt den Wert unseres Hauses“, sagte meine Frau, die aus der Finanzindustrie kommt und der ich auch in politischen Dingen meist folge. Nur im Bund sollte man die Grünen besser nicht ranlassen, meinte sie: Da könne zu viel Unsinn passieren.
Wen die grüne Wende wie viel kosten wird, das ist die große Frage. Vor zwei Wochen war Annalena Baerbock beim ZDF zu Gast. Wie es denn in Zukunft mit dem Fliegen aussehe, wurde sie gefragt. Ihre dort geäußerte Position lässt sich so zusammenfassen: Wir müssen verzichten, aber nichts wird eingeschränkt. Jeder könne fliegen, wohin er wolle, aber natürlich dürfe es keinen Konsum auf Kosten künftiger Generationen geben. Als die Interviewer sich mit den Antworten unzufrieden zeigten, erreichte die Kanzlerkandidatin schließlich das rettende Ufer: Der globale Flugverkehr müsse eingeschränkt werden. Globale Lösungen sind immer gut, da kann niemand etwas dagegen haben.
Das Wolkige und Wohlklingende ist die Paradedisziplin der Grünen, da macht ihnen so schnell keiner etwas vor. Parteiprogramme bringen es mit sich, dass sie sich so lesen, als wäre die ideale Gesellschaft gleich um die Ecke, wenn sich nur alle endlich ein wenig am Riemen reißen würden. Die einzige Partei, die auf jeden Schmonzes verzichtet, ist die AfD, aber dort haben sie ja auch jeden Versuch aufgegeben, sympathisch zu wirken. Trotzdem bemühen sich die meisten Parteien wenigstens, hier und dort etwas Handfestes anzubieten.
Andererseits: Warum die Wähler vergraulen, wenn es auch ohne allzu Konkretes geht? Im Prinzip ist man sich ja einig, dafür sorgt schon die erstaunliche soziale Homogenität der Anhängerschaft.
Die Grünen waren immer ein Elitenprojekt. Keine andere Partei versammelt in ihren Reihen so viele akademisch gebildete oder zumindest anakademisierte Menschen. Nirgendwo ist der Anteil derjenigen, für die Wachstum schon deshalb keine Perspektive sein muss, weil sie auf die eine oder andere Weise vom Staat leben, ähnlich groß.
Lange haben sich die Grünen ihrer Herkunft geschämt. Bei der Wahl 2013 meinten sie noch, ein ambitioniertes Sozialprogramm auflegen zu müssen, um zu beweisen, dass sie auch etwas von Hartz IV verstehen. Inzwischen zeigen die Grünen ganz unverstellt, dass sie die Partei derer sind, die die Sorge ums Materielle weitgehend überwunden haben.
Auch die Grünen wissen, dass es da draußen Menschen gibt, die ihre Kinder nicht Jonas und Lena nennen, Montessori für einen Schaumwein halten und bei Fridays for Future bereits beim Buchstabieren ins Stolpern geraten. So wie man als gebildeter Mensch ja auch weiß, dass es im Regenwald Stämme gibt, die im Lendenschurz durch die Gegend streifen und noch mit Pfeil und Bogen jagen.
Man sieht sie halt nur nie. Jeder Grüne zählt mehr migrantisch bewegte LGBTQIA+-Aktivisten in seinem Bekanntenkreis als Abkömmlinge aus der Unterschicht. Schon das Wort ruft Unbehagen hervor. Deshalb ist auch ganz viel von klimagerechter Gesellschaft die Rede, das klingt irgendwie weitläufiger als die soziale Gerechtigkeit, für die man früher bei den Linken stritt. Zur Not erhöhte man halt die Hartz-IV-Sätze. Wenn es an etwas nie mangelt in der grünen Welt, dann an Geld. Das wächst dort auf den Bäumen.
Etwa 25 Prozent der Deutschen geben in Umfragen an, im September für die Grünen stimmen zu wollen. Weitere 25 Prozent sagen, dass sie sich theoretisch vorstellen könnten, grün zu wählen. Die Parteiführung wertet dies als Zeichen, dass die Grünen inzwischen Volkspartei seien. Für mich sind die Zahlen eher Ausdruck des Wohlstands dieser Gesellschaft.
Für 50 Prozent der Deutschen sind auch 200 Euro mehr für den Mallorcaflug kein Problem. Die Erhöhung der Ticketpreise hätte im Gegenteil sogar einen Vorteil. An Bord wäre man endlich wieder mehr unter sich: weniger Plebs, mehr Baedeker. Wenn das kein Versprechen an die Anhängerschaft ist!
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