Im fortschrittlichen Teil des Westens hat man sich darauf geeinigt, dass der Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft alle Minderheiten niederdrückt. Aber wenn der Rassismus allgegenwärtig ist, warum gelingt dann einigen der Aufstieg und anderen nicht?
Es gibt viele Volksgruppen, die es schwer haben. Die Rohingya in Burma, die Christen in Ägypten. Aber niemand erfährt eine vergleichbare Zuneigung und Aufmerksamkeit wie die Angehörigen des palästinensischen Volkes. Wenn es so etwas gibt wie den Pandabären der internationalen Politik, dann ist es der Palästinenser.
Der Palästinenser kann machen, was er will, ihm wird verziehen. Er kann seine Nachbarn mit Raketen überziehen. Oder im Kindergarten kleine Sprengstoffgürtel als Spielzeug auslegen. Oder sich beim Staatsbesuch schwer danebenbenehmen wie der palästinensische Staatspräsident Mahmud Abbas in Berlin.
Schon lange hat kein Besucher die Bundesregierung mehr so in Verlegenheit gebracht wie der Fatah-Führer. Man muss schon ziemlich neben sich stehen, um in Gegenwart des deutschen Bundeskanzlers zu erklären, dass die Juden nicht nur einen Holocaust, nein, dass sie 50 begangen hätten. Das bekommt nicht mal der verstockteste Neonazi hin.
Aber Schwamm drüber, alles vergeben und vergessen. Am Ende gibt’s trotzdem einen Scheck. 340 Millionen Euro für den Gast, so war es auch dieses Mal. Ich hätte eigentlich erwartet, dass jemand sagt: Der liebe Herr Abbas soll sich sein Geld woanders zusammensuchen. Aber an der Hilfe für Palästina wird nicht gerüttelt, unpassende Holocaust-Vergleiche hin oder her.
Es gibt eine merkwürdige Obsession mit der palästinensischen Sache. Keine Demo, bei der nicht der Block der Unterstützer Palästinas mitlatscht. Selbst bei Schwulendemos ist inzwischen regelmäßig eine Abteilung dabei, die für „Free Palestine from the River to the Sea“ und das Ende Israels die Flagge schwenkt.
Ich wünsche mir manchmal insgeheim, dass die Freunde der LGBTQIA-Szene, die so wahnsinnig erpicht darauf sind, dass endlich die Araber zu ihrem Recht kommen, einmal, nur ein einziges Mal, im Fummel durch Ramallah laufen. Wenn sie nicht gleich am nächsten Laternenpfahl aufgeknüpft werden, haben sie Glück gehabt, würde ich sagen.
Als „Mode-Accessoire für junge Männer und Frauen jeden Alters“ ist das Palästinensertuch bei Amazon für 12,99 Euro zu haben. Zu meiner Schulzeit gab es noch kein Amazon. Trotzdem war der Pali-Schal plötzlich da und komplettierte fortan die Schuluniform aus Jeans und Parka. Selbstverständlich fieberten wir auch beim Befreiungskampf des palästinensischen Volkes mit. Dass sie hin und wieder ein Flugzeug kaperten und alle Passagiere jüdischen Glaubens aussonderten – Schwamm drüber.
Ich habe mir vor Jahren während der Recherche für mein Buch „Unter Linken“ die Mühe gemacht, die Fördersummen zusammenzustellen. Drei Milliarden Euro flossen allein zwischen 2000 und 2007 aus EU-Mitteln in die Autonomiegebiete. Bei einer Geberkonferenz in Paris wurden weitere fünf Milliarden beschlossen. Im März 2009, kurz vor Erscheinen des Buches, kamen noch einmal 4,5 Milliarden dazu. Und das sind nur die Zahlungen im Zeitraum von 2000 bis 2010. Wenn es den Titel der meistsubventionierten Volksgruppe der Welt gäbe, die Palästinenser wären ein heißer Anwärter.
Man darf nicht den Fehler machen, danach zu fragen, was aus der Förderung geworden ist. Dass ihre Bewohner mehr Geld bekommen haben als die Europäer während des gesamten Marshallplans, sieht man der Autonomieregion nur an, wenn man den Blick auf die Villen der Fatah-Funktionäre in ihren Luxusenklaven wirft. Aber wahrscheinlich geht auch die Korruption in der Autonomiebehörde auf das Konto Israels.
Der Opferdiskurs funktioniert immer, selbst auf internationaler Ebene. Dass man anderen die Schuld geben kann, wenn man hinter den Erwartungen zurückbleibt, hat zweifellos Vorteile. Kaum etwas ist so demoralisierend wie die Erkenntnis, dass man sich sein Unglück selbst zuzuschreiben hat, weil man zu träge, zu faul oder einfach zu blöd war, um vom Fleck zu kommen.
Wenn der Palästinenser Selbstmordattentäter losschickt, handelt er selbstverständlich aus Verzweiflung. Wenn es bis heute keine funktionierende Verwaltung, keine nennenswerte Wirtschaftstätigkeit, ja nicht mal ein Abwassersystem gibt, das den Namen verdient, liegt das an den Zionisten und der Mauer, die sie um den Gazastreifen gebaut haben.
Das Problem am Opferdenken ist allerdings: Es bringt einen keinen Schritt weiter. Wer immer höhere Mächte verantwortlich macht, neigt dazu, sich in seinem Elend einzurichten. Deshalb rät jeder Therapeut ja auch dazu, das Selbstmitleid zu überwinden und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.
Ich bin seit drei Wochen in den USA. Zu meiner Morgenlektüre zählt jetzt als Erstes die „New York Times“. Herkunft ist ein Riesenthema. Im Prinzip hat man sich darauf verständigt, dass es der Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft ist, der Minderheiten am Aufstieg hindert. Dass sich die Weißen bewegen müssen, damit sich etwas ändert, und nicht etwa die Nicht-Weißen, ist das unausgesprochene Mantra.
Aber offenbar gelingt es einigen Minoritäten trotz des allgegenwärtigen Rassismus aufzusteigen. Bei den Zulassungstests zu den Universitäten sind asiatischstämmige Amerikaner inzwischen führend. Bildungsabschluss ist ein guter Indikator für Teilhabe, weil alles Weitere aus ihm folgt: Einkommen, sozialer Status, gesellschaftliche Macht und Einfluss.
Auch asiatischstämmige Amerikaner wurden nicht mit offenen Armen empfangen. Die Zahl der Vorurteile (und Schimpfwörter), die man mit ihnen verbindet, ist lang. Dennoch sind sie heute eine der erfolgreichsten Minderheiten.
Die Zahl der Universitätsabschlüsse läge noch höher, wenn nur Leistung zählen würde und nicht Herkunft. Eine Reihe von Elite-Colleges ist dazu übergangen, die Zahl von Asian Americans künstlich zu senken, um jungen Schwarzen Zugang zu ermöglichen. Einige asiatische Eltern haben daraufhin geklagt, weil sie es nicht länger hinnehmen wollen, dass ihre Kinder systematisch benachteiligt werden, damit die Quote stimmt. Der Fall liegt jetzt vor dem Supreme Court. Beobachter gehen davon aus, dass der Klage stattgegeben wird, was das Ende der sogenannten Affirmative Action bedeuten würde.
Auch die Mexikaner haben es relativ weit gebracht. Da niemand mit ihnen ihr hartes Los beklagt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Offenbar spielen Familienzusammenhalt und kulturelle Werte beim Aufstieg eine große Rolle. Ob Kinder in einer intakten Familie aufwachsen oder der Vater sich schon im Kleinkindalter verdrückt, hat für den weiteren Lebensverlauf enorme Folgen.
In Deutschland lassen sich ebenfalls Unterschiede bei Minderheiten beobachten. Es ist nicht das Gleiche, ob jemand, sagen wir, in einer jüdischen oder in einer arabischstämmigen Familie aufwächst. Das gilt nicht in jedem Einzelfall, aber doch im Generellen. Weshalb ja auch kein Mittelschichtspaar aus einem der grünen Innenstadtviertel auf die Idee käme, seine Kinder auf eine muslimische Schule zu schicken, aber sehr wohl auf eine jüdische.
Aber wie gesagt: Schwamm drüber. Man soll sich im Urlaub keine zu schwierigen Themen vornehmen.