Monat: November 2024

Still in Dubai

Der Iran ermordet einen deutschen Geschäftsmann, die Außenministerin kündigt „schwerwiegende Konsequenzen“ an. Und dann? Dann schließt sie ein paar Generalkonsulate. Mehr muss man über die deutsche Außenpolitik nicht wissen

Annalena Baerbock sieht blendend aus, um mal mit dem Positiven zu beginnen. Wenn sie die Gangway herab schreitet, sitzt jedes Haar. Neulich war sie im Nahen Osten unterwegs. Auf dem Pressefoto: die Ministerin mit schwarzer Sonnenbrille, schwarzem Hosenanzug und schwarzen Pomps umringt von vier Bodyguards. Atemberaubend. Ich dachte im ersten Moment, es würde sich um ein Szenenbild aus „Mission Impossible 5“ handeln. Aber nein, es war unsere Außenministerin im Einsatz für den Weltfrieden.

Normalerweise schickt es sich nicht, das Aussehen von Politikern zu kommentieren. Aber in dem Fall ist man dazu ja geradezu verpflichtet. 136000 Euro gibt Annalena Baerbock im Jahr für die Visagistin aus. Verschwendung von Steuergeldern ist ein großes Thema. Insofern ist man als kritischer Beobachter doch froh, wenn man sagen kann, dass das Geld gut angelegt ist.

Was die Außenpolitik angeht, sieht es leider nicht so rosig aus. Am vorletzten Montag hat das iranische Regime den deutschen Unternehmer Jamshid Sharmahd hinrichten lassen. Sharmahd unterhielt eine Webseite für Exiliraner, auf der er für die Rückkehr zur Monarchie warb. Das reichte für einen Platz auf der Todesliste. Während einer Geschäftsreise nach Dubai ließen ihn die Mullahs entführen, um ihn vor einem Revolutionsgericht in Teheran wegen „Korruption auf Erden“ abzuurteilen.

Kidnapping plus Geiselhaft plus Folter plus Mord: Das ist eine ziemlich lange Liste an Vergehen, selbst für einen Schurkenstaat wie den Iran. Dass man mal eben einen ausländischen Staatsangehörigen entführt, um ihn nach einem Schauprozess hinzurichten, kommt nicht mal im notorisch bedenkenlosen Nordkorea vor. Auch da kennt man politische Geiselnahme als diplomatisches Mittel, aber man bringt die Geiseln anschließend nicht einfach um die Ecke.

Der Kanzler sprach von einem „Skandal“ und verurteilte „aufs Schärfste“. Die Außenministerin verurteilte scharf und kündigte „schwerwiegende Konsequenzen“ an.

Wie die schwerwiegenden Konsequenzen dann aussahen? Der iranische Botschafter wurde ins Auswärtige Amt einbestellt, wo ihm mitgeteilt wurde, wie empört man sei. Und die Generalkonsulate in Hamburg, Frankfurt und München müssen schließen. Das Personal der Botschaft darf selbstverständlich unbehelligt im Land bleiben – man will schließlich die „stille Diplomatie“, an der Deutschland so viel liegt, nicht gefährden.

So sind wir: Immer bemüht, den richtigen Ton zu treffen, damit sich ja niemand vor den Kopf geschlagen fühlt.

Nicht einmal die bekannten Diktatorenanschmuser Viktor Orbán und Gerhard Schröder würden vermutlich bestreiten, dass eine Welt ohne Mullahs eine bessere Welt wäre. Hinter nahezu jeder Terrorgruppe, die dem Westen den Krieg erklärt, steckt der Iran. Führt das dazu, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um dem iranischen Regime das Überleben so schwer wie möglich zu machen? Selbstverständlich nicht. Wir schaffen es ja noch nicht einmal, die iranischen Revolutionsgarden als terroristische Organisation einzustufen.

Einem Artikel in der „Welt“ habe ich entnommen, dass wir im Zweifel sogar dabei behilflich sind, iranische Moralvorstellungen nach Deutschland zu exportieren. Vor dem Islamischen Zentrum in Hamburg, einem Außenposten des Mullahregimes, demonstrierte ein Trupp Exiliraner. Einige der Demonstranten verbrannten dabei einige Koranseiten.

In Deutschland läuft so etwas unter Religionskritik. Die Zeiten, als die Obrigkeit die Entweihung religiöser Symbole als Provokation empfand, sind lange vorbei. So sah es auch die Polizei, die herbeigerufen wurde, um die Personalien der Demonstranten aufzunehmen.

Aber dann beschwerte sich das iranische Generalkonsulat in Hamburg und verlangte eine „Verurteilung dieses kriminellen und höchst provokativen Aktes“. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen „gemeinschaftlicher Beschimpfung von Glaubensbekenntnissen“. Man will ja schließlich die Mullahs nicht gegen sich aufbringen!

Obacht also liebe Leute, wenn ihr das nächste Mal ein Kreuz zertrümmert oder eine Christusstatue entweiht: Die Strafe folgt auf dem Fuße. Kleiner Scherz. Die Empfindlichkeit gilt selbstverständlich nur bei Symbolen fremder Mächte. Die eigene Religion darf man trashen, so viel man will. Da kann man sogar den Papst mit vollgepinkelter Soutane zeigen, ohne dass von Staats wegen ein Hahn danach kräht. Neueste Variante übrigens im Fall Sharmahd: Der Verurteilte sei gar nicht hingerichtet worden, sondern kurz zuvor einfach verstorben, erklärte jetzt ein Justizsprecher der Behörde in Teheran.

Die deutsche Außenpolitik krankte schon immer am Missverhältnis zwischen Anspruch und Möglichkeiten. Seit Wochen ist Annalena Baerbock im Nahen Osten unterwegs, um eine Eskalation zu verhindern, wie das in der Sprache der „stillen Diplomatie“ heißt. Die beiden anderen Begriffe, die in dem Zusammenhang unweigerlich fallen, sind „Gewaltspirale“ und „Flächenbrand“.

Die Shuttlediplomatie ist natürlich ein Witz. Die Einzigen, die im Nahen Osten etwas zu sagen haben, sind die Amerikaner. Wenn die USA morgen ein Waffenembargo beschließen, kommt eine Woche später kein Kampfjet mehr vom Boden. Wenn die Deutschen damit drohen, keine Waffen mehr zu liefern, fehlen ein paar Helme. Das macht die Appelle der Ministerin unfreiwillig komisch.

Die Region, wo wir etwas ausrichten könnten, wäre die Ukraine. Aber da ziehen wir es vor, uns vornehm zurückzuhalten.

Ich habe dieser Tage ein bemerkenswertes Interview mit dem Osteuropaexperten Jan Claas Behrends gehört. Er könne ja nachvollziehen, dass die Bundesregierung der Ukraine keine Taurus in die Hand geben wolle, sagte er darin. Aber weshalb sie nicht einmal den Versuch mache, von den Russen eine Gegenleistung zu verlangen, sei ihm unbegreiflich. Man könnte ja zum Beispiel fordern, dass sie aufhören Krankenhäuser, Kindergärten und Kraftwerke zu beschießen. Der einzige, der ständig rote Linien aufstellt, die wir dann auch noch peinlich genau beachten, ist Putin. Auch so verliert man einen Krieg.

Wir hätten die Möglichkeit, den Krieg zu wenden. Noch ein Jahr, so sagen es die Militärs, und der Mann im Kreml bekomme ernsthafte Schwierigkeiten, weil ihm die Soldaten ausgingen. 1000 Tote am Tag, das hält auf Dauer nicht einmal Russland durch. Aber so weit möchte man es wiederum bei der SPD nicht kommen lassen. Tatsächlich ist die Unterstützung für die Ukraine so kalibriert, dass uns niemand vorwerfen kann, wir würden das Land schutzlos dem Feind überlassen. Aber wir liefern eben auch nie so viel, dass es sich wirklich verteidigen kann.

Die Einzigen, mit denen wir uns anlegen, sind Donald Trump und seine Leute. Da gibt auch der brave deutsche Diplomat seine Zurückhaltung auf und zeigt mal, was in ihm steckt. Dass wir nichts sind ohne den Raketenschutz aus Washington? Egal. Kamala Harris heißt unsere Heldin. So steuern wir auch außenpolitisch ohne Kompass und Segel dahin, getrieben allein von der Hoffnung, dass am Ende schon die Richtigen gewinnen.

Zum Schluss doch noch eine gute Nachricht. Wir finanzieren Solarmodule auf marokkanischen Moscheen. Kein Witz, acht Millionen Euro ist uns der Spaß wert. Wie es der Zufall wollte, ertönte neben mir gerade der Ruf des Muezzin, als ich davon las. Ich verbringe die Herbstferien regelmäßig mit der Familie in Marrakesch. Ich hatte also Gelegenheit, mich vom baulichen Zustand der marokkanischen Moscheen zu überzeugen.

Das Land leidet an Wassermangel, aber nicht an einem Mangel an Strom. Auch das Solarmodul ist dort wohl bekannt. Das Entwicklungshilfeministerium hat das Projekt nichtsdestotrotz in Auftrag gegeben, um auch den marokkanischen Imam in Sachen Energieeffizienz zu „sensibilisieren”, wie es in den Unterlagen heißt. Außerdem habe man das Thema Geschlechtergerechtigkeit adressiert: Sechs von neun Mitarbeitern, die man über die Vorteile erneuerbarer Energien unterrichtet habe, seien Frauen gewesen.

Man könnte verzweifeln, wenn es nicht so komisch wäre.

Mehr Trump wagen

Viele Politiker haben in Wahrheit Angst vor Menschen. Abstrakt finden sie Demokratie prima. Aber wenn es konkret wird, würden sie am liebsten davonlaufen. Kein Wunder, dass das Vertrauen in die Politik ständig sinkt

Einmal war ich mit Klaus Wowereit im Wahlkampf unterwegs. Der erste Stopp: ein Einkaufszentrum in Berlin-Lichtenberg. Die Zeitungen waren wieder voll mit Nachrichten, was alles in Berlin schieflief, aber Wowereit schnappte sich kurzerhand ein Bund Rosen vom Wahlkampfstand und rannte auf ein Rentnerpärchen am Eingang des „Ring Center“ zu.

„Na“, sagte er, „wie jeht’s denn so?“

Dann guckte er der Frau in die Einkaufstasche.

„Passen Sie auf, dass Ihr Mann nicht vom Fleisch fällt. Es sei denn, Sie wollen ihn nicht mehr.“ Allgemeines Gelächter.

Nächste Station dann ein Imbiss im ersten Stock. Vor Tellern mit riesigen Hawaii-Toasts zwei junge Frauen, die offenbar ihr zweites Frühstück einnahmen. Wowereit steuerte schnurgerade auf den Tisch zu und beugte sich hinunter.

„Na, die Portion ist ja auch nicht zu klein geraten.“

Kurze Schrecksekunde bei den beiden Imbisskundinnen. Dann erneut Gelächter.

Man kann nicht behaupten, dass sich Wowereit beim Wähler angebiedert hätte. Aber natürlich hatte er am Ende die Nase vorn. Wenn er gewollt hätte, wäre er auch ein viertes Mal gewählt worden – trotz Flughafen-debakel, mieser Pisa-Ergebnisse und brennender Autos. Er hat es dann vorgezogen, sich aus der Politik zu verabschieden, bevor andere meinten, es sei Zeit zu gehen.

Ich habe auch Christian Ude im Wahlkampf beobachtet. Bevor es zu den ernsten Themen kam: erst einmal zwei Gags zum Aufwärmen. So fing bei dem Münchner Oberbürgermeister der Abend an. Man kann das furchtbar unseriös finden, aber es ist eben sehr viel unterhaltsamer als diese papierenen Reden, in denen ein Programmpunkt nach dem anderen abgearbeitet wird.

Nach seiner langen Karriere als Bürgermeister war Ude als Stand-up-Comedian auf Tour. Auch das: hochzweifelhaft. Andererseits als Politiker einen Raum voller Leute zu unterhalten, die dafür sogar bezahlt haben, wer kann das schon? Das setzt ein gerütteltes Maß an Selbstironie-fähigkeit voraus. Einer der wenigen, die in Bayern über ein ähnliches komödiantisches Talent verfügen, ist der bayerische Justizminister Georg Eisenreich. Wenn mich nicht alles täuscht, steht dem Mann eine große Karriere bevor.

Warum ich das erzähle? Weil wir uns gelegentlich daran erinnern sollten, dass es vor noch gar nicht so langer Zeit Politiker gab, bei denen man nicht sofort in Deckung ging, wenn sie auftauchten. Wir denken, Politiker müssten so sein wie Olaf Scholz oder Friedrich Merz, also wie Leute, bei denen jeder weiß, dass es furchtbar anstrengend wird, sollte man versehentlich in Rufweite geraten.

Ich habe einmal den Fehler gemacht, mich bei einem Sommerfest neben Olaf Scholz zu stellen. Erst folgte ein Vortrag über die Anfänge der SPD in Hamburg-Wandsbek, dann ein Vortrag über die SPD in Hamburg-Volksdorf. Nach 30 Minuten habe ich einen Hustenanfall vorgetäuscht, der mich dazu zwang, mich aus der Gruppe der Zuhörer zu entfernen.

Heute steht das Volkstümliche unter Verdacht. Wenn ein Politiker einen anderen schmähen will, dann wirft er ihm vor, ein Populist zu sein. Besser Populist als Langweiler, würde ich sagen. Aber mit dieser Meinung stehe ich erkennbar auf verlorenem Posten.

Alle Augen sind dieser Tage auf Kamala Harris gerichtet. „Kann sie die Welt retten?“, lautet die Frage bei „Stern“, „Zeit“ und „Süddeutscher Zeitung“ – wobei die Frage ja bereits die Antwort beinhaltet. Allenthalben wird gerätselt, wie es einem verurteilten Straftäter mit erratischem Verhalten und aus-geprägten Rachefantasien gelingen kann, in den Umfragen so weit aufzuschließen, dass ein Wahlsieg immer wahrscheinlicher wird.

Was ist das Geheimnis von Donald Trump? Dass er sich nicht verstellt, wäre meine Vermutung. In einer Zeit, in der alles mehr oder weniger nur noch Fassade zu sein scheint, geht davon eine enorme Verführungskraft aus.

Trump ist immer ganz bei sich. Er sagt, was ihm durch den Kopf geht, egal, was die anderen dazu denken. Wenn ihn die Berater in eine Richtung zu schubsen versuchen, neigt er sich aus Prinzip in die andere. Man merkt ihm auch sofort an, wenn er sich geschmeichelt fühlt oder sich ärgert.

Vor zwei Wochen war Trump bei McDonald’s. Seine Gegenspielerin hatte behauptet, sie habe als Studentin bei McDonald’s gearbeitet. Also tauchte er in einem Drive Thru auf, zog sich eine Schürze an und ließ sich in die Bedienung der Fritteuse unterweisen. Anschließend trat er vor die Kameras und sagte, er habe jetzt mehr Zeit bei McDonald’s verbracht als Kamala Harris in ihrem ganzen Leben.

Klar, es war ein Stunt, eine Inszenierung, wie sie in ihrer Schamlosigkeit nur Trump einfällt. Aber das Bemerkenswerte war: Es war an keiner Stelle peinlich. Trump ist immer Trump. Er findet sofort einen Draht zu den Leuten, mit denen er spricht. Er verhält sich auch nie von oben herab oder anbiedernd.

Man muss sich nur für einen Moment vorstellen, Kamala Harris hätte sich an den Burger-Grill gestellt. Es hätte mit einem Vortrag über die Gefahren von Fast Food begonnen. Oder, schlimmer noch: Einem Bekenntnis, dass sie früher auch gerne mal in einen Burger gebissen habe, weil ihr plötzlich eingefallen wäre, wie wichtig es sei, ihre Verbindungen zur Arbeiterklasse zu unterstreichen. Trump hat so etwas nicht nötig. Wenn es nach ihm ginge, könnte es jeden Tag Big Mac geben.

Wer volkstümlich ist, steht im Verdacht, den intellektuellen Anforderungen des Amtes nicht gewachsen zu sein. Das muss man als Politiker aushalten können.

Ich erinnere mich an eine der ersten Pressekonferenzen mit Kurt Beck, nachdem sie ihn zum SPD-Chef bestimmt hatten. Beck konnte auf eine beeindruckende Reihe von Erfolgen verweisen, kaum ein Ministerpräsident war so beliebt wie er. Aber das nützte ihm nichts.

Schon wie er aussah, mit dem Mecki-Schnitt und dem eigenartigen Bart, gab Anlass zu Spott. Dazu die verwaschene Ausdrucksweise seiner pfälzischen Heimat. Alles an diesem Mann strömte Provinz aus. So wurde er auch behandelt, als Provinzei, das sich in die Hauptstadt verwirrt hatte, ein Missverständnis auf zwei Beinen.

Zwei Jahre ging das so, dann zog Beck sich schwer verwundet zurück. Noch Jahre später konnte er Auskunft geben, wie ihn die Verachtung und Hochmütigkeit der Berliner Blase getroffen hatte.

Meiner Beobachtung nach haben mehr Politiker Angst vor Menschen, als man meinen sollte. Sicher, abstrakt finden sie das Volk prima. Demokratie heißt schließlich, den Mehrheitswillen zu organisieren. Aber wenn es konkret wird, bekommen viele Beklemmungen.

Man sieht es an der verdrucksten Art, mit der sie sich dem Wähler nähern, so als gehe von diesem eine unbestimmte Gefahr aus. Da stehen sie dann vor dem Obststand oder der Werkbank und stellen unbeholfene Fragen, weil ihnen die Berater gesagt haben, sie müssten sich zugänglicher zeigen. Entsprechend groß ist die Erleichterung, wenn alles vorbei ist und man wieder im Wahlkampf-Bus hockt.

Vielleicht ginge es der Politik besser, wenn es weniger Berater gäbe. Jeder Politiker hat heute einen Tross von Leuten um sich, die darüber wachen, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Wehe, jemand durchstößt den Kokon, dann herrscht Panik.

Ich glaube, es gibt ein riesiges Bedürfnis nach Politikern, die so reden, dass man das Gefühl hat, sie meinen, was sie sagen. Die meisten von ihnen haben furchtbar Angst, etwas falsch zu machen.

Ich weiß, ich lehne mich hier weit aus dem Fenster, aber wenn ich einen Rat hätte, dann wäre der: mehr Trump wagen.

© Michael Szyszka