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Unsere Taliban – die erstaunliche Dreistigkeit der Grünen

Erst die Kühltürme der AKW, dann die Stelzen des Transrapid: Alles, was an diese technologische Hochkultur erinnert, wird beseitigt. Nie wieder soll sich ein Kind fragen, was es mit der untergegangenen Zivilisationauf sich gehabt haben mag

Der langjährige Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner war die Tage bei Phoenix zu Gast, es ging um die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China. Kellner war mal Büroleiter von Claudia Roth, das stählt einen fürs Leben. Außerdem hat er es unter der Ampel zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium gebracht, wo er zusammen mit seinem Schwager Patrick Graichen den großen Wärmepumpenplan für Deutschland ausheckte.

Er sei manchmal fassungslos, wie wenig die Wirtschaft aus der Vergangenheit gelernt habe, hob Kellner an und schüttelte den Kopf. Jeder Student im ersten Semester wisse doch, dass es keine gute Idee sei, sich einseitig abhängig zu machen. Oha, dachte ich. Und das sagt ausgerechnet ein Vertreter der Partei, die lieber die Wirtschaft außer Landes schickt, als darüber nachzudenken, was sie zum Überleben bräuchte?

Eigentlich wollte ich nicht mehr über die Grünen schreiben. Das sei meine vorerst letzte Kolumne, habe ich vor sieben Wochen anlässlich des Amtsantritts von Annalena Baerbock bei den Vereinten Nationen gelobt. Aber die Dreistigkeit, mit der ehemalige Spitzengrüne so tun, als hätten sie mit der Malaise hierzulande nichts zu tun, lässt mir keine Ruhe.

Was richtig ist: Wir könnten relativ unabhängig sein, wenn wir wollten. Wir haben so viel Erdgas im heimischen Boden, dass wir für die nächsten 40 Jahre den Russen oder Amerikanern eine Nase drehen könnten. Wir müssten uns nur dazu entschließen, das Gas aus der Erde zu holen. Das ist technisch nicht einmal besonders anspruchsvoll. Ein Teil liegt so dicht an der Oberfläche, dass man einfach den Bohrer ansetzen müsste.

Aber erstens wollen wir ja kein Gas mehr. Gas gilt wie Atomkraft und Kohle als Energieform von gestern. Wer das wie die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche anders sieht, wird von den Grünen und ihren journalistischen Vorfeldformaten als „Gas-Kathi“ verspottet. Und zweitens würde die Förderung ja bedeuten, dass man sich an Mutter Erde vergreift. Und die ist, das wissen wir, in grünen Kreisen heilig.

Deshalb ist auch das Kapitel der knappen Rohstoffe erledigt, bevor es richtig begonnen hat. Die Neptune Energy meldet einen der größten Funde weltweit: 43 Millionen Tonnen Lithiumcarbonat in der Altmark. Das ist wie ein Sechser im Lotto. Lithium ist unter anderem zur Herstellung von Batterien unerlässlich. Wie abhängig die deutsche Industrie auch hier von China ist, zeigt sich dieser Tage im Automobilsektor.

Aber der Bundesumweltminister hat schon sorgenvoll mit dem Kopf gewackelt. Eine Förderung sei selbstverständlich nur im Einklang mit den hohen deutschen und europäischen Umweltstandards möglich. Man ahnt, wie es weitergeht. Drei streng blickende Kröten, die nach EU-Artenschutzrichtlinie persönliche Anwälte bekommen, wie der Zeitgeist-Kritiker Alexander Eichholtz den Fortgang der Dinge beschrieb. 1867 Klagen, weil Nachbarn den Schattenwurf der Bauzäune als Gesundheitsgefahr melden. Und ein in der Zwischenzeit gewachsener und nach Bundeswaldgesetz besonders schützenswerter Urwald, wo vorher ein Schotterparkplatz war. 2051 wird das Projekt dann unter dem Beifall von BUND, Greenpeace und der Amadeu Antonio Stiftung endgültig beerdigt.

Viele halten den Grünen ihre Blauäugigkeit in der Migrationspolitik vor. Andere beklagen die Versessenheit, mit der sie Fortschrittsprojekte wie das Selbstbestimmungsgesetz betreiben. Aber die gesellschaftlich nachhaltigste Hinterlassenschaft ist ihre tief sitzende Technikfeindlichkeit.

Selbst der Antrieb mittels Magnetkraft galt zwischenzeitlich als Teufelswerk, weshalb die Züge in Fernost heute mit 400 Stundenkilometern zwischen den Städten verkehren, während wir uns zur Schneckenbahn zurückentwickeln. Die Deutsche Bahn hat Mitte Oktober ihre neue ICE-Klasse vorgestellt. Reisende sind im ICE L künftig nur noch mit 230 km/h unterwegs. Dafür gibt es einen barrierefreien Einstieg und ein familienfreundliches Innendesign, wie der Bahn-Vorstand stolz mitteilte.

Wie kompliziert das Verhältnis des Durchschnittsgrünen zur Moderne ist, zeigt sein Verhältnis zum Strom. Einerseits ist der Saft, der aus der Dose kommt, das Maß aller Dinge. Solange es elektrisch zugeht, kann er sich sogar mit dem Auto anfreunden. Die Klimaanlage wiederum hat sich bis heute nicht von ihrem schlechten Ruf erholen können, dabei ist sie noch nie anders als mit Strom gelaufen.

Zu Beginn jeden Sommers gibt es in den klimasensiblen Magazinen lange Abhandlungen, wie man der Todeshitze am besten entgegentritt. Neben dem Expertenrat zur sachgemäßen Verdunkelung der Wohnung finden sich Ratschläge zur korrekten Platzierung nasser Handtücher auf dem Ventilator zwecks optimaler Kühlwirkung. Aber ausgerechnet die wirksamste Kühlungsform, die Klimaanlage, ist so gut wie nie im Angebot, so als sei die Anschaffung eine exotische und auch etwas anrüchige Idee.

Die Energiepolitik der letzten Jahre lässt sich auf einen Satz bringen: Wir haben eine CO2-neutrale Energieform durch eine andere ersetzt. Der Wechsel war nicht nur affenartig teuer, ohne dass es einen nennenswerten Effekt auf die Klimabilanz gehabt hätte. Windkraft ist im Gegensatz zu Kernkraft leider auch noch notorisch unzuverlässig, sodass ständig aus dem Ausland Atomstrom nachgekauft werden muss.

Jeder weiß, dass Deutschland ohne Kernenergie weder 2040 klimaneutral sein wird noch 2045, jedenfalls nicht unter der Maßgabe, dass es weiter so etwas wie eine Industrie gibt. Weil das insgeheim auch die Grünen wissen, werden vollendete Tatsachen geschaffen. Also sprengt man einen Kühlturm nach dem anderen, damit ja niemand auf die Idee kommt, den einmal beschlossenen Ausstieg wieder infrage zu stellen. Auch so lässt sich Politik gegen jüngere Generationen machen: Man schneidet ihnen einfach den Rückweg ab.

Am vergangenen Wochenende waren die Kühltürme des Kernkraftwerks in Gundremmingen dran. Der „Welt“-Redakteur Axel Bojanowski hat die Zerstörung mit der Sprengung der
Buddha-Statuen in Bamiyan durch die Taliban verglichen. Der Vergleich ist nicht so absurd, wie mancher denken mag. Hier wie dort geht es darum, Zeugnisse einer Zivilisation zu beseitigen, bei der man allein die ferne Erinnerung als gefährlich betrachtet. Nie wieder soll sich ein Kind angesichts der Relikte fragen, was es mit der untergegangenen Hochkultur auf sich gehabt haben mag.

Auch das muss man an dieser Stelle vielleicht noch einmal ins Gedächtnis rufen: Wäre Deutschland bei der Kernenergie geblieben, statt auf Wind und Sonne zu setzen, hätte es nicht nur 600 Milliarden Euro gespart, sondern würde mehr CO2-freien Strom produzieren, als mit den sogenannten erneuerbaren Energien bislang möglich ist. Sogar eine komplett CO2-freie Stromversorgung wäre möglich gewesen, wie eine kürzlich im Fachblatt „International Journal of Sustainable Energy“ veröffentlichte Studie nachweist.

Als Nächstes sind die Gasleitungen fällig. In Mannheim wurden die Kunden bereits in Kenntnis gesetzt, dass ab 2035 Schluss ist, andere Kommunen werden folgen. Und auch die Teststrecke für den Transrapid soll in Kürze für viele Millionen Euro abgerissen werden. Am Ende bleibt von der Zeit, als Deutschland für klimafreundliche Hochtechnologie stand, nur noch Ackerkrume. Dafür geht es barrierefrei zu.

Anfang des Sturms

Eben noch galten die Grünen als Partei, die den nächsten Kanzler stellt. Die Weigerung, alles gegen die Energiekrise zu tun, macht zunichte, was sich die Parteispitze an Vertrauen aufgebaut hat

Bis vor einer Woche war die Energiekrise eine Krise der beiden ehemaligen Volksparteien, also von CDU/CSU und SPD. Das war zwar schon da nicht ganz richtig, weil es die grüne Energiewende ist, die wesentlich zu den Kalamitäten beigetragen hat, in denen wir uns befinden. Aber am Ende zählt, wer regiert, und das waren über die vergangenen 16 Jahre nun mal nicht die Grünen.

Seit Anfang vorletzter Woche ist die Krise eine grüne Krise. Alles, was in diesem Winter noch kommen mag, wird nun ihnen zugerechnet werden: das Unternehmensterben, das der Verdoppelung des Strompreises folgen wird; die Blackouts, wenn die Netze kollabieren, weil nicht mehr genug verlässliche Kraftwerke da sind.

Ich hielt die Grünen für smart, jedenfalls strategisch. Ich habe ihnen zugetraut, den nächsten Kanzler zu stellen. Kurze Zeit sah es so aus, als ob das Projekt aufgehen könnte, die gesellschaftliche Mitte zu erobern. Die Weigerung, alles zu tun, was nötig ist, um den Meltdown abzuwenden, ist deshalb ein Fehler, dessen Auswirkung man gar nicht überschätzen kann. Er ist geeignet, alles an Vertrauen zuschanden zu machen, was sich die Partei in den letzten Monaten erarbeitet hat.

Wir stehen am Anfang des Sturms. Man sieht das Wetterleuchten. Kein Tag, an dem man in den Zeitungen nicht von Betrieben lesen kann, die keine Ahnung haben, wie sie die Stromrechnungen schultern sollen. Am schlimmsten sind Unternehmen betroffen, die alles richtig machen wollten und auf eine moderne Gasturbine gesetzt haben. Wer jetzt noch Öl oder Kohle verfeuern kann, hat wenigstens eine Alternative.

Es trifft auch Branchen, auf die man nicht sofort kommt. Ich bin am Samstag bei einer Gartenparty auf einen Arzt gestoßen, der vor drei Jahren in eine radiologische Praxis in München eingetreten ist. Seine Rechnungsstelle hat ihn vergangene Woche angeschrieben, er möge sich auf eine Nachzahlung von 1,2 Millionen Euro bei den Stromkosten einstellen. Radiologische Großgeräte sind Stromfresser, die sich nicht einfach über Nacht abstellen lassen. Das vertragen die Magnete nicht, die es zur Bildgewinnung braucht.

„Mal schauen, wie lange wir durchhalten“, sagte der Radiologe. Ich fand ihn erstaunlich gefasst. Ich könnte nicht mehr schlafen, wenn man mir eine Mehrzahlung von 1,2 Millionen Euro in Aussicht stellen würde. Aber als wir auf die Entscheidung des Wirtschaftsministers zu sprechen kamen, die Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen, war es mit dem Gleichmut vorbei. Man konnte sehen, wie in dem Mann Unverständnis und Wut die Oberhand gewannen.

Nicht nur mein Radiologe fragt sich, warum wir nicht alles tun, um den Schaden für das Land so gering wie möglich zu halten. Zwei Wochen ist es jetzt her, dass Robert Habeck seinen Plan vorstellte, die deutsche Kernkraft in die stille Reserve zu überführen. Bis heute weiß niemand, wie das gehen soll. Mit einem Atomkraftwerk verhält es sich wie mit dem Computertomografen meines radiologischen Bekannten: Manche Anlagen haben keinen Ein- und Ausschalter. Habeck hat seinen Kritikern geantwortet, dass alle, die meinten, sein Plan funktioniere nicht, ihn nicht verstanden hätten. Was genau er sich vorstellt, hat er leider nicht dazugesagt.

Es gibt in der Politik ein paar unumstößliche Gesetze. Ein Skandal, für den man mehr als einen Satz braucht, ist kein Skandal. Deswegen war im Wahlkampf das Schummelbuch von Annalena Baerbock ein großes Thema und nicht die Cum-Ex-Vergangenheit von Olaf Scholz, obwohl Letzteres sehr viel bedeutsamer ist als Ersteres. Genauso gilt: Eine Erklärung, für die ich mehr als eine Minute brauche, ist als Erklärung unbrauchbar.

Niemand wusste das bislang besser als die Grünen. Sie haben die Chlorhühnchen erfunden und den Genmais, um Deutschland vor fremden Gütern zu schützen. Wenn ihre Gegner ansetzten, die Vorteile von Handelsabkommen mit fernen Ländern zu erklären, lachten sie nur.

Und jetzt suchen sie ihr Heil in der Merit-Order, also der Reihenfolge von Kraftwerken bei der Preisgestaltung? Good luck. Ich habe am Wochenende den Versuch gemacht, zu erklären, wie sich der Preis am Strommarkt berechnet. Ich konnte sehen, wie der Blick meines Gesprächspartners ins Leere ging. Bei Greenpeace wusste man schon, warum man immer den Delfin ins Schaufenster stellte und nie die unterseeische Riesenspinne, die es genauso verdient hätte, am Leben zu bleiben.

©Sören Kunz

Ist das AKW ein Symbol? Selbstverständlich ist es das. Bei der Stromerzeugung macht die Kernenergie nur noch sechs Prozent aus. Aber so ist es in Kriegszeiten: Manchmal geht es auch um Symbole. Das gilt erst recht, wenn den Leuten das Wasser bis zum Hals steht.

Wenn man den Brief mit der neuen Abschlagszahlung in Händen hält, ist es gut zu wissen, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Situation in den Griff zu bekommen. Und nicht sagt: „Sorry, ist schlimm, dass du jetzt das Fünffache zahlen sollst. Wir haben da auch 300 Euro für dich. Aber was die Stromgewinnung angeht, müssen wir leider Rücksicht auf die grüne Seele nehmen.“

Mit der Energiewende ist es wie mit dem Sozialismus. Es ist nie die Idee schlecht, immer nur die Ausführung. Selbstverständlich wird am Ziel festgehalten, nach der Atomkraft aus der Kohle auszusteigen. Dummerweise ist es genau diese Fixierung auf die Erneuerbaren, die uns in die Abhängigkeit vom russischen Gas geführt hat. Die Grünen haben immer vor Putin gewarnt, das unterscheidet sie vorteilhaft von anderen Parteien. Allerdings hat dann die grüne Energiewende die Dinge noch viel schlimmer gemacht, weil nach dem Aus für Kohle und Kernkraft nur Gas als verlässlicher Energieträger übrig blieb.

Im Koalitionsvertrag ist der Bau weiterer Gaskraftwerke angekündigt. „Erdgas ist für eine Übergangszeit unverzichtbar“, heißt es dort in einer raren Verbeugung vor der Wirklichkeit. Es wäre interessant zu wissen, ob sich die Koalition daran halten will oder ob sie darauf setzt, dass aus dem Nichts andere Energieträger auftauchen. Vielleicht verzichtet man auch einfach auf die sogenannte Grundlast, also Energielieferanten, die von den Launen des Wetters unabhängig sind. Das würde passen zu einer Welt, in der Wille und Vorstellung zählen und nicht die schnöden Gesetze der Physik.

Sie halten das für einen Witz? Ich erinnere mich an einen Tweet, in dem das Bundesumweltministerium vor der Gaskrise erklärte: „Grundlast wird es im klassischen Sinn nicht mehr geben.“ Statt auf Grundlast setzte man auf ein System von Erneuerbaren, Speichern und intelligenten Netzen. Im Umweltministerium war man immer schon weiter als in der normalen Politik. Jetzt muss nur noch die Wirklichkeit nachfolgen.

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat Anfang der Woche die Meinung der Deutschen zur Laufzeit der Atomkraftwerke erfragt. 67 Prozent sind dafür, dass die drei noch in Betrieb befindlichen Meiler bis 2024 zur Stromerzeugung genutzt werden. Selbst unter Grünen-Wählern gibt es einen Stimmungsumschwung. Der Teil derer, der einen Weiterbetrieb befürwortet, liegt mit 41 Prozent nicht mehr so weit hinter dem Teil, der für Abschaltung beziehungsweise Reserve ist.

Wäre ich ein Grünen-Hasser, würde ich mir wünschen, dass die Parteispitze möglichst lange an ihrem Ausstiegsbeschluss festhält. Spätestens wenn im Januar während der Dunkelflaute die Lichter ausgehen, weil Sonne und Wind mit dem Stromverbrauch nicht mithalten, haben sich die Ambitionen auf Höheres fürs Erste erledigt.

Wenn die Tesla-Besitzerin ihren Wagen nicht mehr von der Stelle bekommt, weil die Ladestation streikt, dann ist die grüne Partei wieder dort, wo sie herkommt: nicht mehr Lifestyle-Entscheidung für die gehobene Mittelschicht, sondern ein Angebot an die wirklich Überzeugten, die sich ihre Überzeugung auch etwas kosten lassen. Das reicht dann immer noch für den Bundestag. Mit dem Einzug ins Kanzleramt wird’s allerdings schwer.