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Die Enden des Hufeisens

Der Krieg in der Ukraine hat einen Teil des rechtskonservativen Milieus in Kalamitäten gestürzt. Man kämpft gegen Tempolimit, Maskenpflicht und grüne Verbotskultur. Aber mehr noch als die Freiheit liebt man offenbar das Autoritäre

Ein Freund von mir ist der Journalist Georg Gafron. Wir haben uns auf der Terrasse des „Polana Serena“-Hotels in Mosambik kennengelernt. Ich weiß, das klingt etwas verrückt. Andererseits, wer Gafron näher kennt, weiß: Könnte es einen besseren Platz für ein Treffen mit ihm geben als eine Hotelterrasse in Afrika?

Gafron war schon gegen die Linken, als ich noch dachte, alles Gute käme von den Grünen. Er hat für Leo Kirch das erste Privatradio in Berlin aufgebaut. Als Kirch Konkurs anmeldete, sagte er den unsterblichen Satz: „Mit einem Unternehmer wie Leo Kirch ist selbst der gemeinsame Untergang noch eine große Ehre, gemessen am jämmerlichen Dasein so vieler anderer.“ Danach war er zwei Jahre lang Chefredakteur des Berliner Boulevardblatts „B.Z.“. Die „B.Z.“ ist wie „Bild“, nur mit noch größeren Buchstaben.

Er war auch eng mit Helmut Kohl befreundet. Wenn es jemanden gibt, der weiß, woher die Spenden kamen, über die Kohl in Ungnade fiel, dann Gafron. Natürlich belegte er regelmäßig einen der vordersten Plätze auf der Liste der peinlichsten Berliner, die das Stadtmagazin „tip“ jedes Jahr zum Jahreswechsel in liebevoller Kleinarbeit kuratierte.

Als die „Süddeutsche Zeitung“ noch eine Berlin-Seite hatte, gab es eine Rubrik, die sich eigens mit ihm und seinem Wirken beschäftigte. Habe ich schon erwähnt, dass ihm Joschka Fischer mal Schläge androhte, weil er sich über seine Frau lustig gemacht hatte? Mit Fischer versteht sich Gafron heute sehr gut. Sie gehen gelegentlich im „Hot Spot“ zusammen essen, einem Chinesen im Westteil der Stadt, der über eine legendäre Weinkarte verfügt.

Vor drei Wochen erschien von Gafron die Besprechung einer „Anne Will“-Sendung auf „Tichys Einblick“, für den er seit zwei Jahren schreibt. In dem Text ging es vor allem um den Auftritt von Annalena Baerbock, die zu der Talkshow zugeschaltet war. Frau Baerbock kam in dem Artikel nicht gut weg. Das hat mich erstaunt, weil mir Gafron ein paar Tage vorher gesagt hatte, wie froh er sei, dass Baerbock unsere Außenministerin sei und nicht einer dieser Russlandfreunde von der SPD.

Wenige Tage nachdem das Stück erschienen war, telefonierten wir. „Du wirst es nicht glauben“, sagte er, „aber ich habe gerade gesehen, dass es gar nicht mein Text ist, der unter meinem Namen auf die Seite gestellt wurde. Da stehen lauter Sachen drin, die ich nie geschrieben habe.“

Ich habe mir die beiden Fassungen daraufhin angesehen, den Text, den mein Freund an die Redaktion geschickt hatte, und die Fernsehkritik, die unter seinem Namen zur Veröffentlichung kam. Es ist wirklich erstaunlich. Etwa ein Drittel des Textes wurde verändert. Wo Baerbock im Original für ihre klaren Antworten gelobt wurde, stand nun, dass sie sich gewunden habe und es nur dem zähen, unbeeindruckten Nachfassen der Moderatorin zu verdanken sei, dass die Zuschauer überhaupt eine Antwort erhielten.

Einige Passagen waren komplett neu dazugekommen, zum Beispiel ein Absatz, in dem der Ministerin vorgehalten wurde, sie habe Deutschland als das „größte Land in Europa“ bezeichnet, einer der „Versprecher“, die sie, Zitat, „für das Amt so gefährlich machen“. Kurze Zwischenfrage an der Stelle: Ich mag mich, was Bevölkerung und Wirtschaftsstärke angeht, irren, aber gibt es ein Land in Europa, von dem man sagen kann, dass es größer als Deutschland ist?

Ich bin seit 1989 im Journalismus. Ich war selbst einige Jahre Ressortleiter. Dass man Texte redigiert, klar. Dass man Sätze umstellt und Ungeschicklichkeiten glättet, auch das. Aber dass man das Geschriebene in sein Gegenteil verkehrt und das Ganze dann publiziert, ohne dem Autor Bescheid zu geben? Das ist mir in 34 Jahren Journalismus noch nicht begegnet. Ich dachte, so etwas gibt es nur in Putins Russland.

Warum macht eine Redaktion das? Offenbar fürchtet man bei „Tichys Einblick“, dass ein Lob der Grünen die Leser so verstören könnte, dass man ihnen diese Unannehmlichkeit besser erspart. Ein gutes Wort über die Außenministerin und ihren Ukraine-Kurs auf einem solchen Portal! Um Gottes willen!

Der Krieg in der Ukraine hat einen Teil des rechtskonservativen Milieus in schwere Kalamitäten gestürzt. Man sieht sich als Verteidiger der Freiheit, selbstverständlich. Man kämpft gegen Tempolimit, Maskenpflicht und grüne Verbotskultur. Aber mehr noch als die Freiheit liebt man den autoritären Auftritt.

Die gleichen Leute, die eben noch gegen die „Corona-Diktatur“ zu Felde zogen, drücken nun ausgerechnet einem Usurpator die Daumen, der jeden abführen lässt, der auch nur leise Kritik an seiner Politik übt. An die Stelle der Corona-Maßnahmen ist als Feindbild die Nato getreten, an die Stelle der Maskenbefürworter die „Kriegstreiber“, gegen die es sich nun zu wehren gilt. Vom Impfgegner zum Russlandfreund ist es manchmal nur ein kleiner Schritt.

Ich bin seit Langem ein Anhänger der These, dass ganz links und ganz rechts mehr miteinander gemein haben, als den Anhängern lieb ist. Man muss ja nur in den Bundestag schauen, wer Putin verteidigt, und man weiß augenblicklich, dass die Hufeisentheorie zutrifft. Manchmal denke ich, das ist so irre, was an Argumenten gegen eine Aufrüstung der Ukraine vorgetragen wird: Da muss doch Geld geflossen sein. Aber am Ende ist es vermutlich Überzeugung.

Der Kulminationspunkt der Affekte ist der Antiamerikanismus. Davon leitet sich alles ab, rechts wie links: die seltsame Russlandverklärung, die Sehnsucht nach der Heimeligkeit der geordneten Welt, auch die Spießigkeit und Muffigkeit, die mit dem allzu Heimeligen einhergeht. Dass es vom Antiamerikanismus zum Antisemitismus nicht mehr weit ist, sei der Vollständigkeit halber erwähnt.

Es hat seinen Grund, warum die Grünen von allen Parteien am wenigsten auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Sie haben sich über die Natur eines autoritären Regimes wie Russland nie Illusionen gemacht. Es gibt ein bemerkenswertes Video aus dem Wahlkampf, in dem Annalena Baerbock die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas anspricht. Man kann erkennen, dass Scholz und Laschet in dem Moment gar nicht wissen, wovon sie redet.

Die Außenpolitik ist immer das Beste an den Grünen gewesen, da bin ich mir mit meinem Freund Gafron einig. Schon zu DDR-Zeiten waren sie die Einzigen, die bei Besuchen im anderen Teil Deutschlands regelmäßig bei den Bürgerrechtlern vorbeischauten. Davon ließen sie sich, anders als viele Vertreter der SPD oder der Union, auch nicht durch Drohungen oder Schmeicheleien abhalten.

Gafron hat das nicht vergessen. Er saß in der DDR im Knast, wegen versuchter Republikflucht. Kaum war er entlassen, hat er es dann gleich wieder probiert, im Kofferraum eines umgebauten R4. Dieses Mal war er erfolgreich. Wer einmal wirklich für seine Freiheit kämpfen musste, der ist für immer gegen jede Form des Kollektivismus imprägniert. Deshalb hat er stets Distanz zur AfD und ihren Leuten gehalten, auch wenn er manchem, was die AfD an Kritik vorbrachte, zustimmen konnte.

Ich glaube nicht an feministische Außenpolitik. Alles, was ich dazu gelesen habe, war ziemlicher Unsinn. Aber ich glaube daran, dass sich der Zivilisationsgrad einer Nation daran bemisst, wie sie mit Minderheiten umgeht. Man muss nur die Landkarte der Länder übereinanderlegen, in denen Schwule verfolgt werden, und man weiß ziemlich genau, wo man als freiheitsliebender Mensch leben will und wo nicht. Überall dort, wo an der Spitze Leute stehen, die sich davon bedroht fühlen, wenn Menschen anders leben als sie, wird es schnell sehr eng und sehr hässlich.

Der Artikel über Baerbock ist übrigens der letzte Artikel, den man bei „Tichys Einblick“ von Gafron findet. Ein Publikationsorgan, das seine Leser vor Meinungen, die sie nicht teilen, beschützen will, kann für einen wie ihn keine Heimat sein.

©Michael Szyszka