Dass Deutschland zu Wohlstand kam, verdankt das Land auch den vielen fleißigen Gastarbeitern. Die Zuwanderung ist wieder hoch, aber anders als damals landen viele Neuankömmlinge heute im Bürgergeld. Was ist denn da schiefgelaufen?
Das Politmagazin „Kontraste“ schilderte vor einigen Wochen den Fall des Geflüchteten Jonathan A., im Familien- und Freundeskreis auch bekannt als Papa Nelson beziehungsweise Mr. Cash Money. Der Mann stammt aus einem Dorf in Nigeria. Im Gegensatz zu vielen afrikanischen Flüchtlingen, die es nach Deutschland zieht, hat er es geschafft, hier Fuß zu fassen.
Er hat die deutsche Sprache erlernt, jedenfalls so weit, dass er auf TikTok Tipps geben kann, wie man es in Deutschland zu Wohlstand bringt. Seit ein paar Jahren ist er sogar im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Im Grunde ist Papa Nelson das, was man ein Vorbild der Integration nennen könnte, und damit genau die Sorte von Flüchtling, denen die Regierung mit dem neuen Einbürgerungsgesetz die Deutschwerdung erleichtern will.
Es gibt nur einen kleinen Schönheitsfehler. Herr A. ist zwar groß gewachsen und von beeindruckender Statur, auf Videos zeigt er gerne seine Muskeln vor. Einer geregelten Arbeit steht also nichts im Wege. Leider hat er jedoch beschlossen, dass Arbeit nichts für ihn sei, weshalb er Bürgergeld bezieht. Und das nicht nur für sich, sondern auch für mittlerweile 24 Kinder von mehreren Frauen, die auf diesem Wege ebenfalls ein Bleiberecht erwirkt haben. 1,5 Millionen Euro kostet der Unterhalt des auf insgesamt 94 Personen angewachsenen Haushalts die Sozialkasse, pro Jahr.
Als ich davon hörte, dachte ich erst, das sei ein Witz. Aber nein, das ist deutsches Ausländerrecht. Und das Verrückteste dabei ist: Den Behörden sind offenkundig die Hände gebunden. Man sollte meinen, dass ein solch offensichtlicher Schabernack zulasten des Steuerzahlers nicht Bestand haben kann. Aber so sehr sich die Ämter auch anstrengen, gegen diese Form der Bereicherung ist kein Kraut gewachsen. Wer wie Mr. Cash Money ein Kind als sein eigenes anerkennt, erhält auch entsprechende Unterstützung, egal, ob er der leibliche Vater ist oder nicht.
Ich habe dieser Tage ein Buch in die Hände bekommen, das von den Erfahrungen und Entbehrungen der Menschen handelt, die Deutschland als sogenannte Gastarbeiter mit aufgebaut haben. Es trägt den etwas hochtrabenden Titel „Kampf & Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft“, sein Autor ist der mir wohlbekannte und geschätzte Theologe Stephan Anpalagan. Das Buch beginnt mit dem Schicksal der Familie Yilmaz, deren Großvater, Hüseyin Yilmaz, in den 70er Jahre nach Deutschland kam, als der 1000001ste Gastarbeiter. Eigentlich sollten es nur ein, zwei Jahre in der Fremde werden. Aber dann kam die Frau nach, weil die Sehnsucht zu groß war. Am Ende hatten die Yilmaz vier Kinder großgezogen und dieses seltsame Deutschland zu ihrer Heimat gemacht.
Welcher Mut, welche Entschlusskraft, dachte ich, während ich mich durch Anpalagans Buch las. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Kaff in Anatolien aufgewachsen, wo schon Istanbul unvorstellbar weit entfernt ist, und dann beschließen Sie in ein Land aufzubrechen, dessen Sprache Sie nicht beherrschen, dessen Sitten und Gebräuche Ihnen gänzlich fremd sind, und das sich auch nicht als besonders einladend erweist, wenn man dann einmal da ist, weder vom Wetter noch von den Umgangsformen.
Das Lob der Arbeitsmoral durchzieht den ganzen Text, erst für die der Polen, die kamen, um in den Bergwerken zu schuften, dann für die der Italiener, die dafür sorgten, dass die Bänder der Automobilindustrie nicht stillstanden, dann die der Türken, die sich auf den vielen Baustellen krumm schufteten. Sie alle haben sich reingehängt in der Hoffnung, dass es ihren Kindern besser gehen würde. Und oft klappte es ja auch. Die zweite Generation ging hier zur Schule, die ersten schafften es an die Universität.
Starke Arbeitsethik, hoher Leistungswille, wenig Larmoyanz – das zeichnete die Angehörigen der migrantischen Aufbaugeneration aus. Das ist es auch, was ihnen die Anerkennung und den Respekt der Deutschen einbrachte, die zunächst mit Argwohn und auch Feindseligkeit auf die Zuwanderer blickten.
Irgendetwas ist zwischendurch schief gegangen. Wieder ist viel davon die Rede, dass Deutschland ohne Zuwanderung nicht auskomme, weil die Deutschen selbst zu wenig Kinder in die Welt setzten, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Es ist das Argument, das die Politiker schon vor 50 Jahren benutzten, als sie die ersten Anwerbeabkommen schlossen. Aber im Gegensatz zu damals landen viele Zuwanderer nicht auf dem Arbeitsmarkt, sondern in den Karteien der Sozialämter.
Das ist kein dummes Vorurteil, das sagen die Zahlen. 51 Prozent der Bürgergeldempfänger, wie Hartz-IV-Bezieher heute vornehm heißen, sind inzwischen ausländische Staatsbürger. Stellt man auf den sogenannten Migrationshintergrund ab, sind es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sogar 62 Prozent.
Vielleicht sind die Zuwanderer einfach nur zu gut integriert. Auch bei vielen Deutschen ist es mit der Arbeitsmoral inzwischen so eine Sache. Gerade hat die Firmenleitung des Werkzeugherstellers Stihl beschlossen, ein neues Werk nicht mehr in Deutschland, sondern stattdessen wohl in der Schweiz zu errichten. Auch die Schweiz gilt nicht gerade als Billiglohnland. Aber verglichen mit Deutschland, wo die IG-Metall jetzt die 32-Stunden-Woche einführen will, ist sogar die Schweiz günstig.
Dass auch viele Neuankömmlinge vor allem die richtige Work-Life-Balance im Blick haben, ist allerdings nicht das, was Politiker erzählen, wenn sie die Vorzüge von mehr Immigration nennen. Im Gegenteil: Wenn das Loblied der Einwanderung gesungen wird, ist immer von den tüchtigen Pflegekräften die Rede, die dafür sorgen, dass die Versorgung der Alten nicht zusammenbricht, und den vielen fleißigen Händen, die es in der Gastronomie oder der Landwirtschaft braucht.
Woran liegt es, dass überall händeringend nach Leuten gesucht wird, die anpacken, wenn gleichzeitig so viele Menschen nach Deutschland kommen wie lange nicht mehr? Ich habe dazu einen aufschlussreichen Artikel im Wirtschaftsteil des „Spiegel“ gelesen. Anders als früher wollen wir es besonders gutmachen, lautet das Fazit.
Die Neuankömmlinge werden erst einmal in Sprachkurse gesetzt, damit sie Deutsch lernen. Dann folgen diverse Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen. Denn selbstverständlich nehmen wir es auch bei den Zertifikaten und Bescheinigungen heute ganz genau.
So legen wir Hunderttausende still. Und wenn sie dann so weit wären, loszulegen, sagen sich viele: Eigentlich ist dieses Leben auf Kosten des Arbeitsamtes gar nicht so schlecht. Man braucht ja kein Harvard-Diplom, um spitz zu kriegen, wie der deutsche Sozialstaat funktioniert. Wer lange genug klagt, dass er an einer Schrumpfleber laboriert oder einem anderen Leiden, das ihm schwerere Arbeit verbietet, der kommt auch ohne Arbeit über die Runden. Im Zweifel bessert er sein Bürgergeld mit etwas Schwarzarbeit auf.
Jonathan A. alias Papa Nelson alias Mr. Cash Money heißt übrigens auch deshalb Mr. Cash Money, weil er sich einen Spaß daraus macht, den Reichtum vorzuführen, den ihm die regelmäßige Zuweisung der Familienkasse Dortmund erlaubt. Da sieht man ihn dann in seinem Dorf in Nigeria in einem schicken Audi vorfahren oder dem Cabrio, das er sich gerade geleistet hat. Auf einem anderen Video wirft er, in Landestracht gekleidet, Geldscheine wie Kamellen unters jubelnde Volk.
Arbeitsmarktforscher werden nicht müde zu betonen, dass die Sozialhilfe bei der Entscheidung für Deutschland keine Rolle spiele. Der genannte Pull-Effekt ist die vermutlich meistbestrittene Tatsache im deutschen Fernsehen. Leider sehen nicht alle Flüchtlinge den Presseclub oder Markus Lanz, wo ihnen auseinandergesetzt wird, wie entbehrungsreich und kompliziert in Wahrheit das Leben als Zuwanderer in Deutschland ist. Ich fürchte, sie verlassen sich eher auf die schönen Bilder aus dem Leben von Leuten wie Jonathan A.
© Silke Werzinger