Schlagwort: Journalismus

Lieber einen Freund verlieren als eine Pointe

Wenn Politiker gegen Journalisten juristisch vorgehen, ist das seltsam genug. Aber Journalisten, die Politiker wegen Beleidigung verklagen? Die beste Gegenwehr ist immer noch der Text, der weh tut. Aber das scheint démodé

Ich habe noch nie jemanden verklagt. Ich hätte Grund gehabt, so ist es nicht. Als was bin ich nicht schon alles beschimpft worden.

„Fleischhauer, friss Atommüll, Arschloch“, so beginnt mein Tag. Manchmal finde ich mich im Kofferraum eines Autos wieder. Für die Jüngeren, die mit den Memes der Siebzigerjahre nicht so vertraut sind: Der Kofferraum war der Fundort, indem die RAF die Leichen der Leute überstellte, die sie der Gerechtigkeit ihres Volksgerichtshofs zugeführt hatte.

Ich lese das und denke mir: „Gott, wenn’s der Triebabfuhr dient.“ Besser jemand macht sich in Wort und Bild Luft, als dass er auf noch dümmere Gedanken kommt.

Außerdem bin ich für Rechtsstreitigkeiten ein viel zu fauler Mensch. Was das an Energie kostet! Erst muss man eine Strafanzeige stellen. Dann muss man eine Dienststelle finden, die die Anzeige ernst nimmt. Und dann steht auch noch ein Gerichtsverfahren an.

Ich stecke meine Kraft lieber in meine Texte. Im Zweifel zahle ich es den Hatern doppelt heim, indem ich nächste Woche erst recht aushole. Das ärgert sie tausend Mal mehr als eine Strafanzeige.

Die „Spiegel“-Redakteurin Ann- Katrin Müller hat auf X verkündet, dass sie den AfD-Abgeordneten Stephan Brandner erfolgreich wegen Beleidigung dranbekommen habe. Brandner hatte sie mehrfach als „Fa-schistin“ bezeichnet, beziehungsweise in Variationen als „Oberfaschistin“ und „Spiegel-Faschistin“.

Müllers Anwalt machte geltend, dass die Bezeichnung als Faschistin geeignet sei, der Ehre seiner Mandantin schweren Schaden zufügen und ihren Ruf als Journalistin herabzusetzen. Weil Brandner es unterließ, die Beleidigung umgehend zu löschen, und sogar noch einen draufsetzte, verdonnerte ihn das Landgericht Berlin zu einer Strafzahlung von insgesamt 50000 Euro.

Die Kollegin feiert das als großen Sieg. Ihr X-Account ist voll mit den Retweets von Stimmen, die ihr gratulieren, darunter der unweigerlich trötenhafte „Volksverpetzer“, der den Mut der „Spiegel“-Redakteurin lobte, sich zu wehren und der AfD die Grenzen aufzuzeigen.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich finde es schon zweifelhaft, wenn Politiker gegen Journalisten juristisch vorgehen. Aber Journalisten, die Politiker verklagen? Zumal „Faschist“ oder „Oberfaschist“ eher gängige Ware ist. Tatsächlich ist der Vorwurf, ein Nazi zu sein, inzwischen so üblich, dass man sich fragen muss, was man falsch ge-macht hat, wenn man noch nie als Nazi bezeichnet wurde.

Ich bin ein Freund der üblen Nachrede. Die meisten Leute erschrecken, wenn man das sagt. Das könne man doch nicht sagen, meinen sie dann. Dem würde ich erstens mit dem Kabarettisten Werner Finck entgegenhalten: Da, wo’s zu weit geht, fängt die Freiheit erst an. Außerdem steht die Spottlust am Anfang der Aufklärung, um mal ins hohe Fach zu greifen.

Der Journalist solle sich mit nichts gemeinmachen, auch nicht mit einer guten Sache, lautet ein Rat, der angehenden Journalisten in Seminaren gegeben wird. Der einfachste Weg, dieser Empfehlung gerecht zu werden, ist es, sich mit Leuten, auf die es ankommt, zu verscherzen. Eine nahezu todsichere Methode, Distanz zwischen sich und anderen zu schaffen, ist dabei die Beleidigung.

Auch bei der üblen Nachrede kommt es auf Finesse an. Wie jede Kunstform ist sie schnell verhunzt, wenn sich Dilettanten daran versuchen. „Idiot“ – das kann jeder, dazu muss man nicht viel im Kopf haben. Aber die treffende Ab-wertung, die wirklich schmerzt, die verlangt den Könner.

Mein Freund Henryk M. Broder stand einmal vor Gericht, weil er über eine Moderatorin der 3sat-„Kulturzeit“ gesagt hatte, sie halte beim Reden den Kopf immer leicht schräg, damit sich die Gedanken auf einer Seite sammeln könnten. Das nenne ich eine gelungene Beleidigung.

Die arme Frau wollte diese Gemeinheit nicht hinnehmen und zog vor das Landgericht in Düsseldorf, das ihr 10000 Euro an Schmerzensgeld zusprach. Zum Glück für Leute wie mich kassierte das Oberlandesgericht die Entscheidung wieder. Am Ende musste Broder 40 Prozent der Gerichtskosten tragen, was für ihn viel Geld war, für die Verteidigung der Meinungsfreiheit aber ein akzeptabler Preis, wie ich fand.

M an muss sich nicht alles bieten lassen, auch nicht als Politikerin. Dass Renate Künast bis vor das Bundesverfassungsgericht zog, weil sie es nicht hinnehmen wollte, als „Schlampe“, „Drecksau“ und „Pädophilen-Trulla“ verunglimpft zu werden, dafür habe ich Verständnis. Manche Pöbelhaftigkeit gehört wegen ihrer Vulgarität bestraft, anders lernen es die Pöbler nicht. Aber „Depp“ oder „Blödmann“? Wer als Minister die Zeit hat, dagegen vorzugehen, hat zu viel Zeit, würde ich sagen.

Manchmal trifft man auf die Opfer seiner Texte, das lässt sich nicht vermeiden. Ich versuche, Politikern aus dem Weg zu gehen. Ich hänge nicht auf Partys herum, auf denen sie verkehren. Ich bin auch nicht Mitglied in irgendwelchen Hintergrundkreisen, wo man bei Strafe der Exklusion zum Schweigen verdonnert ist. Trotzdem kommt es hin und wieder vor, dass ich auf Leute stoße, über die ich schon mal hergezogen bin.

Einmal saß ich mit dem damaligen Justizminister Heiko Maas und der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel bei „Maischberger“. In dem Fall hatte ich mich über beide gerade lustig gemacht, bei Maas über seine Hemden, seine Freundin und seine politische Geschniegeltheit – bei Weidel über ihre dünnen Nerven. Die zwei zogen es vor, so zu tun, als sei nichts vorgefallen. Der gemeinsame Wein nach der Sendung fiel dann allerdings flach.

Ich glaube, hier liegt ein Grund, warum viele Journalisten Mühe haben, zu schreiben, was sie wirklich denken. Wer damit rechnen muss, demjenigen, über den er sich abfällig äußert, morgen wieder zu begegnen, neigt dazu, milder zu urteilen.

Jeder Journalist hat seine Vorbilder. Zu meinen gehören die großen Austeiler und Übereinanderherzieher Wolfgang Pohrt und Wiglaf Droste. Manchmal, wenn ich mich in Stimmung bringen will, nehme ich einen ihrer Texte zur Hand und lese ihn mir laut vor. Der Berliner Verleger Klaus Bittermann hat in hingebungsvoller Verlegerarbeit die gesammelten Werke Pohrts in einer großartigen Edition herausgebracht, die nicht von ungefähr an die blauen Bände der berühmten Marx-Engels-Ausgabe erinnert. Auch von Droste ist das meiste in der Edition Tiamat zugänglich.

Was man von den beiden Meistern der Boshaftigkeit lernen kann? Wie man beim Schreiben keine Gefangenen macht. Als Pohrt im Alter von 73 Jahren den Folgen eines Schlaganfalls erlag, schrieb Bittermann: „Am Freitag ist der Ideologiekritiker Wolfgang Pohrt gestorben. Er hinterlässt mehr Feinde als Freunde. Das hätte ihm gefallen.“

Der Journalist als Gegensichaufbringer ist eine weitgehend von den Zeitläufen erledigte Figur. Es sich mit allen zu verscherzen, weil man nach der Methode verfährt: lieber einen Freund verlieren als eine Pointe, gilt heute als ungehörig. Das ist ja der Fluch der Ideologiekritik, wenn man sie ohne Rücksichtnahme betreibt: Irgendwann ist man für jede Indienstnahme verloren, auch die für die gute Sache.

Was hätte jemand wie Pohrt aus der AfD gemacht? Interessanterweise ist die Befassung mit den Leuten, von denen es allenthalben heißt, dass mit ihnen der Faschismus zurückkehre, ebenfalls seltsam blutleer. Sicher, Höcke, Weidel oder der aufgeblasene Polterer Brandner kommen in den Medien durchweg schlecht weg. Aber das absurde, lächerliche oder auch diabolische Potenzial diese Figuren wird nicht ansatzweise ausgeschöpft.

Den meisten, die heute über die Rechten schreiben, fehlt der Blick für das Abgründige und Abseitige. Sie sehen nur die Parolen, die aus den Mündern quellen, aber nicht das parodistische Material.

Auch das ist ein Vorteil der Beleidigung: Sie schärft den Blick fürs Detail, das mehr sagt als tausend Worte. Deshalb ist sie ja so gefürchtet.

© Sören Kunz

Der Journalist als Fan

Wenn der Wunsch die Wirklichkeitsbetrachtung ersetzt, triumphiert am Ende selten der Wunsch. Das war bei der medialen Befassung mit Trump so, das war bei Biden so. Wird es sich bei Kamala Harris wiederholen?

Haben Sie gesehen, wie die Obamas Kamala Harris gratuliert haben? Tagelang hatte sie auf die Unterstützung des demokratischen Powercouples gewartet. Warum wartet Obama mit dem Endorsement, das war die Frage, die ganz Washington beschäftigte. Hat er Vorbehalte? Wartet er nur auf den richtigen Augenblick?

Und dann klingelt das Telefon. Barack und Michelle sind sogar beide dran, um zu sagen, wie stolz sie auf ihr „Mädchen“ sind und wie toll sie es finden, dass sie nun die Demokraten in den Kampf ums Weiße Haus führen werde. Schnitt auf das Gesicht der Kandidatin, die gefasst, aber glücklich die frohe Kunde vernimmt.

Gänsehautmoment!

Woher wir so genau im Bilde sind? Weil es ein Video gibt, in dem der Anruf festgehalten ist. Zufälligerweise war gerade ein Berater zur Stelle, der ans Handy ging, als Obama durchklingelte. Doppelglück dann, dass jemand eine Kamera in der Hand hielt, um die Szene einzufangen. Und natürlich war auch gleich der Ton perfekt, sodass wir die tiefe Stimme Barack Obamas von der ersten Sekunde an in voller Lautstärke hören können, gefolgt vom warmen Timbre Michelles.

„Kamala!!“ „Hello? Hi!!“ „Hey there!“ „Aw… Hi, you’re both together!“ So schön, so menschlich kann Politik sein.

Ach so, alles nur inszeniert? Kein Wort wahr? Nein, nein, genauso habe sich der Anruf zugetragen, hat die Sprecherin von Kamala Harris der „New York Times“ gegenüber beteuert. Nichts sei gestellt, jedes Wort sei dem Augenblick abgelauscht.

Es gibt im Englischen ein Wort für diesen Moment, wenn man sich am liebsten vor Schmerz krümmen würde, weil das, was man zu sehen bekommt, so schrecklich ist. Die Engländer nennen das „cringe“. Das Wort hat sich auch im Deutschen eingebürgert, weil es viel anschaulicher ist als das deutsche „Fremdscham“.

Das Obama-Harris-Telefonat ist Cringe im Quadrat. Ich kenne Leute, die konnten den Clip nicht zu Ende schauen, weil sie die Mischung aus gespielter Aufgeregtheit und falscher mädchenhafter Bescheidenheit nicht ertrugen.

Ein Vorwurf gegen Trump lautete immer, er würde Fake News verbreiten. Aber kann man sich mehr Fakehaftigkeit vorstellen, als den Leuten vorzumachen, sie wären mit am Telefon dabei, wenn Obama anruft? Doch eigenartig: In den Medien, die ich konsumiere, keine Zeile dazu.

Alles an Kamala Harris löst Begeisterung aus: wie sie lacht, wie sie kocht, wie sie spricht. Dazu natürlich der Hintergrund. Keine Geschichte kommt ohne den Hinweis aus, dass mit ihr nicht nur die erste Frau ins Oval Office einziehen würde, sondern die erste schwarze Frau. Ja mehr noch: die erste schwarze Frau, die auch noch über asiatische Wurzeln verfügt. Das wird so lange durchdekliniert, bis auch der letzte weiß, welche historische Wahl bevorsteht.

Ich habe mir Mühe gegeben, Kamala Harris toll zu finden, wirklich. Ich habe versucht, alles zu vergessen, was ich vorher über sie gelesen hatte: die Abgehobenheit und Aufgesetztheit, die viele ihre Auftritte durchzieht; die Unfähigkeit, sich in Menschen hineinzuversetzen, die andere Sorgen haben als die Frage, ob es einer Millionärin gelingt, die „gläserne Decke“ zu durchbrechen; der rüde Umgangston, mit dem sie mehrere ihrer Büroteams in die Flucht getrieben hat. All das konnte man lesen – bevor sie zur Frau aufstieg, die Amerika rettet.

Ich bin mit „Thelma & Louise“ aufgewachsen, dem ersten feministischen Rachefilm. Ich bewundere es, wenn eine Frau die Pumpgun rausholt und den Kerl wegpustet, statt sich lange über schlechte Behandlung auszulassen. Wie Kamala Harris gleich in ihrer ersten Rede Trump einen verpasste, indem sie ihn als Trickbetrüger und Frauengrapscher bezeichnete: à la bonne heure. Aber dann bekam ich dieses vermaledeite Video in die Timeline gespült und die Zweifel waren wieder da.

Woher kommt das Bedürfnis vieler Journalisten, sich selbst zum Fan zu machen? In dem Fall ist das doppelt kurios, da niemand in Deutschland bei der US-Wahl eine Stimme hat. Dennoch wird Kamala Harris angefeuert, als könnte sie der Wind der Zustimmung ins Weiße Haus tragen. Gut, wenn man an die Kraft des Gebets glaubt, dann mag es funktionieren. Dass auch in Presseorganen, in denen man sich ansonsten bei jeder Gelegenheit über den Glauben lustig macht, nun lauter Kerzlein ins Fenster stellt, entbehrt so gesehen nicht einer gewissen Komik.

Eine Nebenwirkung des Fantums ist, dass man regelmäßig auf dem falschen Fuß erwischt wird. Wenn der Wunsch die Wirklichkeitsbetrachtung ersetzt, triumphiert selten der Wunsch. Das war schon bei Trump so, das hat sich bei Biden wiederholt. Man sollte meinen, dass dem einen oder anderen Korrespondenten aufgefallen sein sollte, wie altersschwach der Präsident ist, dafür sind sie ja als Korrespondenten vor Ort. Aber am Ende waren sie von seiner Hinfälligkeit genauso überrascht wie ihre Leser.

Der „Politico“-Redakteur Jack Shafer ist neulich in einem Essay der Frage nachgegangen, wann der Journalismus seine Coolness verloren habe. When Journalism lost his swagger, lautete die These im Original. Ich würde sagen, der Zeitpunkt fällt ziemlich genau mit dem Auftauchen einer neuen Form des Journalismus zusammen, der Einfühlsamkeit an die Stelle des Runterschreibens setzt und Rücksichtnahme an die Stelle der Boshaftigkeit.

Die goldenen Jahre des Journalismus sind nicht von ungefähr auch die Wirkungszeit großer Spötter: Karl Kraus, Kurt Tucholsky, Alfred Polgar, Alfred Kerr. Es waren übrigens alles auch große Beleidiger und Niedermacher, weshalb man sie bis heute liest. Eines meiner Vorbilder ist der Autor Anton Kuh, von dem das Motto stammt: „Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht“. Leider hat sich die Auffassung durchgesetzt, man dürfe nicht zu persönlich werden.

Vor einiger Zeit stand im „Spiegel“ ein Porträt des ehemaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier. Es war ein außergewöhnlicher Text, auch außergewöhnlich boshaft. Der Autor, zum Zeitpunkt der Niederschrift noch Journalistenschüler, hatte den Ex-Politiker wochenlang begleitet und alles aufgeschrieben, was der ihm anvertraut hatte, darunter auch manches, von dem sich Altmaier im Nachhinein sicher gewünscht hat, er hätte es nicht gesagt.

War die Redaktion stolz auf den Text? Nein! Es setzte im Gegenteil eine längliche Diskussion ein, ob man den Artikel in dieser Form überhaupt hätte drucken dürfen. Jemanden so vorzuführen, der doch eigentlich immer ein netter Kerl gewesen sei, das sei in hohem Maße unfair. Es fiel das Wort „menschenverachtend“.

War der Text unfair? Er war streckenweise sogar hundsgemein. Aber eben deshalb auch sehr unterhaltsam. Außerdem erfuhr man ziemlich viel darüber, wie einsam Politik diejenigen macht, die ihr verfallen sind.

Es gibt auch den umgekehrten Fall, also das freundliche Porträt über eine Person, die in Ungnade gefallen ist. Alexander Osang ist ein Meister dieser Spielart. Seine Arbeit hat ihm mehrere Kisch-Preise eingetragen, die dann Nannen-Preise hießen, bis man fand, dass auch Nannen nicht mehr ginge, weil politisch zu belastet. Der Preis heißt jetzt Stern-Preis, was über den Niedergang der Branche einiges verrät.

Die meisten Journalisten wählen heute leider die ungünstigste Variante: brav über Leute schreiben, die alle gut finden. Der einzige, über den man noch in herabsetzender Form schreiben kann, ohne dass jemand daran Anstoß nimmt, ist vermutlich Björn Höcke. Wobei, selbst da bin ich mir nicht sicher.

Jedes Porträt stellt ja Nähe zu dem Porträtierten her, in dem es ihm auf den Leib rückt. Die bevorzugte Methode ist die Nahaufnahme, nicht die Fernbeobachtung. Also würde es heißen: Muss es wirklich sein, dass wir Höcke auch von seiner privaten Seite sehen? Verlieren wir damit nicht die Distanz, verharmlosen wir so nicht die AfD?

Auch von Donald Trump gab es dieser Tage neue Videos. In einem Clip sitzt er neben dem Profigolfer Bryson DeChambeau und zeigt seine Playlist vor, während die beiden von Loch zu Loch gurken. Trump ist so, wie er immer ist: einfach er selbst. Das reicht völlig aus, um die Anhänger zu begeistern und die Gegner in den Wahnsinn zu treiben. Ganz ohne cringe.

© Sören Kunz

Mit Leuten wie Höcke reden? Viele Journalisten halten die Bürger offenbar für blöd

Man dürfe den Rechten nicht die Stichworte liefern, heißt es. Dahinter steht die Vorstellung, man müsse bestimmte Themen nur aus den Medien heraushalten und schon würde nicht mehr darüber geredet.

Die AfDdurfte nicht zum Bundespresseball. Seit die Partei im Bundestag sitzt, also seit 2017, standen auch die Abgeordneten der AfD auf der Einladungsliste. Dieses Mal nicht. „Die Partei passt nicht zu uns, mit denen kann man kaum die Demokratie verteidigen“, sagte Mathis Feldhoff, der Vorsitzende des Vereins der Bundespressekonferenz, der den Ball ausrichtet, der Nachrichtenagentur „dpa“.

.Der Ball stand unter dem Motto: „Für die Pressefreiheit. Demokratie schützen.“ Wer denkt sich so etwas aus? Klar, irgendwie sind wir alle für Demokratie. Ist ja auch eine super Sache. Aber muss man deswegen gleich im Takt dazu tanzen? Ich dachte, es gehe bei einem Ball darum, sich einen hinter die Binde zu gießen und ansonsten den lieben Gott eine gute Person sein zu lassen. Aber was verstehe ich schon von Pressebällen.

Eine Freundin fragte, ob ich sie begleiten würde, sie habe noch eine Karte übrig. Ich weiß, warum ich dankend ablehnte. Ich hätte den Demokratietest nie und nimmer bestanden. Wenn ich höre, ich solle mich zur Verteidigung höherer Dinge einfinden, bin ich weg.

Zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Ich habe es nicht anders gelernt. Als ich zur Journalistenschule ging, stand alles Mögliche auf dem Lehrplan: Nachricht, Recherche, Kommentar, die Feinheiten der deutschen Sprache. Demokratieverteidigung war nicht dabei.

Leider schreiben viele in meinem Gewerbe inzwischen auch so, als wollten sie einen Demokratieförderpreis gewinnen. Keine schlechten Scherze mehr, keine fiesen Witze, natürlich auch nichts Schräges oder Anarchisches, woraus man einem einen Strick drehen könnte. Dafür lange Riemen, wie man den Staat vor seinen Feinden schützt.

Ich halte die AfD für ein ergiebiges Thema. Mich würde zum Beispiel brennend interessieren, wie es bei Alice Weidel zu Hause aussieht. Wie bringt sie das zusammen: das Leben als lesbische Mutter und den Vorsitz einer Partei, die Lesben für Frauen hält, die einfach noch nicht den richtigen Mann gefunden haben?

Auch ein Hausbesuch bei Björn Höcke erschiene mir vielversprechend. Ich wüsste zu gerne, ob er im Keller wirklich eine Surround-Anlage eingerichtet hat, um Goebbels Reden in Dolby Atmos zu hören.

Schon physiognomisch ist Höcke eine fantastische Figur. Ich konnte während des „Welt“-Duells mit dem CDU-Mann Mario Voigt den Blick nicht von ihm wenden. Minutenlang verharrte er mit der Hand am Kinn, als sei er direkt einem Disney-Film über die deutsche Romantik entsprungen. Dazu diese Sprache, die immer einen Überschuss Luise Rinser enthält („mir brennt der Mund“). Tolles Material, nach dem sich jeder Journalist die Finger leckt, sollte man meinen.

Stattdessen werden uns lange Elogen geliefert, weshalb man am besten gar nicht mit diesen Leuten redet. Weil: Wer mit ihnen redet, bietet ihnen eine Bühne.

Man dürfe den Rechten keine Bühne bieten, heißt es. Ich halte diesen Satz für den Gipfel der Anmaßung. Journalisten sollten Politikern nie eine Bühne bieten, und zwar egal welcher Couleur. Außerdem ist es nicht die Aufgabe von Medien, Parteien groß oder klein zu schreiben. Dass sich die politische Konkurrenz den Kopf zerbricht, wie sie der AfD den Weg verlegen kann, das erwarte ich von ihr. Aber Journalisten sind keine Politiker. Sie sollten auch nicht versuchen es zu sein.

Man dürfe den Rechten nicht die Stichworte liefern, lautet eine andere Formulierung. Dahinter steht die Vorstellung, man müsse bestimmte Themen nur aus der Zeitung oder dem Fernsehen heraushalten und schon würde nicht mehr darüber geredet. Offenbar halten viele der im Journalismus Tätigen die Bürger für blöd.

Man kann selbstverständlich solange die Kriminalitätsstatistik kleinreden, bis nur noch Touristen übrig sind, um den hohen Anteil von Ausländern unter den Tatverdächtigen zu erklären. Aber das Einzige, was man mit diesen Verrenkungen erreicht, ist, dass die Leute den Journalisten noch mehr misstrauen, als sie es ohnehin tun. Nicht mal in der DDR hat der Versuch funktioniert, die Menschen von Informationen fernzuhalten, die man für schädlich hielt.

Dennoch ist der Reflex erst einmal: Am besten gar nicht dran rühren. Unter diesen Umständen ist es fast eine Sensation, wenn der „Presseclub“ 45 Minuten über die Frage diskutieren lässt, ob steigende Kriminalität eine Sache der Herkunft sei. Ich bin sicher, es gab beim WDR nicht wenige, die fanden, man hätte etwas ganz anderes senden sollen. Am besten wieder was zum Klimawandel. Oder zu Rassismus. Das geht immer.

Man sieht die Folge dieser Wirklichkeitsabgewandtheit auch in den sinkenden Auflagen. Anders als die Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kann man Leser ja nicht zum Abschluss eines Abonnements verpflichten.

Der Rückgang wird zum Naturgesetz erklärt, aber das ist er nicht. Der „Spiegel” zum Beispiel hat trotz Internet Jahr für Jahr zugelegt, bis die Redaktion in ihrer Weisheit auf die Idee kam, nach Stefan Aust eine Reihe von Chefredakteuren zu installieren, die vor allem darüber nachdachten, wie man die eigenen Redakteure glücklich macht.

Schon die Frage, was den Leser interessiert, gilt in manchen Redaktionen als Häresie. Entscheidend ist bei der Themensuche vielmehr, was ihn interessieren sollte. Wenn er sich uneinsichtig zeigt, wird er so lange traktiert, bis er sich in sein Schicksal fügt – oder die Segel streicht.

Dass die mediale Wirklichkeit und die Wirklichkeit, die viele Menschen als Normalität empfinden, auseinanderfallen, ist kein ganz neues Phänomen. Auch zur Zeit von Helmut Kohl waren veröffentlichte Meinung und öffentliche Meinung nicht immer deckungsgleich. Was die Beurteilung seiner Person angeht, fielen sie erkennbar auseinander. Aber es gab wenigstens noch den Versuch, die Wirklichkeit in den Blick zu nehmen, und sei es aus Eigennutz.

Inzwischen gelten sinkende Auflagen als notwendiges Übel. Wenn auf dem Weg der Erneuerung alte Abonnenten verloren gehen, dann sei’s drum. Jung, weiblich und divers – so wünscht sich die moderne Chefredaktion ihre Leserschaft. Wer nicht einsehen will, dass die neue Zeit auch neue Schwerpunkte verlangt, muss sich halt eine andere publizistische Heimat suchen.

Es hat sich eingebürgert, von Haltungsjournalismus zu sprechen. Aber das ist eigentlich das falsche Wort. Gegen Haltung ist nichts zu sagen. Auch ich habe zu vielen Dingen eine klare Haltung, wie die Leser meiner Kolumne aus leidvoller Erfahrung wissen. Vielleicht müsste man eher von Wirklichkeitsnachbesserungsjournalismus reden. Wichtiger, als zu sagen, was ist, erscheint es den Vertretern desselben zu sagen, wie es sein sollte.

Da sich die Lebensrealität oft als sperriger erweist als gedacht, tut sich zwischen den Erwartungen und den Ergebnissen der hochherzigen Bemühungen eine Lücke auf. Das ist wie in der Politik. Aber das heißt mitnichten, dass man klein beigibt. Statt die Ansprüche anzupassen, werden die Anstrengungen einfach verdoppelt.

Mein Kollege Harald Martenstein hat in einem Interview darauf hingewiesen, dass das Wort „Deportation“ bei der berühmten Veranstaltung in Potsdam bekanntermaßen nicht gefallen ist. Dennoch ist bis heute in vielen Medien von einer Tagung die Rede, bei der Deportationen beredet und geplant worden seien. Das habe er in dieser Drastik noch nicht erlebt, sagte Martenstein, dass eine widerlegte Sichtweise einfach eisern durchgehalten werde.

Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich jeden Weltverbesserungsjournalisten dazu verdonnern, sich wieder mehr für das zu interessieren, was ist. Das wäre ein echter Dienst an der Demokratie. Aber vermutlich ist das viel zu simpel gedacht.

© Sören Kunz

Warum viele den Medien nicht mehr trauen

Der Whistleblower steht in der Presse hoch im Kurs. Aber wehe, die Indiskretion trifft einen selbst, dann ist der Teufel los. Dann schickt man heimlich die IT-Experten zur Ausforschung der eigenen Redaktion

 Stellen wir uns Folgendes vor: In einer angesehenen Zeitung des Landes erscheint über einen Wirtschaftsführer ein Bericht, in dem dieser nicht gut wegkommt. Wie die Zeitung schreibt, hat der Mann die Arbeiten anderer als seine eigene Leistung ausgegeben – nichts, was ihm den Job kosten könnte, aber für jemanden in seiner Position doch peinlich.

Statt die Sache auf sich beruhen zu lassen, ruft der Konzernchef den Vorstand zusammen. Das sei eine üble Kampagne, die da gegen ihn losgetreten worden sei, tobt er. Er sei sicher, dass der Anstoß dazu von jemandem aus dem eigenen Unternehmen komme. Er verlange, dass der Maulwurf ausfindig gemacht werde.

Die Personalabteilung wird hinzugezogen, auch die Rechtsabteilung. Es ergeht die Weisung, die Telefone und Computer der Mitarbeiter auf Hinweise zu untersuchen, wer zu der Zeitung Kontakt aufgenommen haben könnte. Die Ausforschungsaktion ist absolut vertraulich, das ist allen Beteiligten klar. Kein Wort zu niemandem, so wird es vereinbart.

Was wäre los, wenn so eine Geschichte herauskäme? Der CEO könnte noch am selben Tag seinen Hut nehmen. Ein Firmenchef, der seine Angestellten hinter ihrem Rücken ausspähen lässt, weil er die Berichterstattung über ihn nicht erträgt? Da sind Manager in Deutschland schon für ganz andere Dinge gefeuert worden.

Die Sache hat sich ziemlich genau so zugetragen wie geschildert, allerdings mit vertauschten Rollen. Das Unternehmen, in dem sich der Spähvorgang zutrug, ist nicht irgendein Konzern, sondern die „Süddeutsche Zeitung“ – und der Firmenchef, der auf Rache sann, der Chefredakteur persönlich.

Dass das Vertrauen in die Medien erodiert, ist beklagenswert. Man sieht es in den Auflagen, man sieht es in den Umfragen. In einer aktuellen Infratest-Studie geben 49 Prozent der Befragten an, dass sie wenig oder gar kein Vertrauen in die Tageszeitungen haben.

Warum trauen die Leute der Presse nicht mehr? Weil sie von rechten Scharfmachern aufgehetzt werden, wie eine Erklärung lautet? Mag sein. Das ist auch die Haltung in der Führung der „Süddeutschen“: Alles das Werk rechter Demagogen, die unabhängige Presseorgane in die Knie zwingen wollen.

Meine Erklärung wäre naheliegender: Viele Leser reagieren empfindlich auf Doppelstandards. Wenn sie den Eindruck gewinnen, dass Journalisten die Maßstäbe, die sie an andere anlegen, ignorieren, wenn sie selbst betroffen sind, dann gerät etwas ins Rutschen.

Der Whistleblower steht im Prinzip hoch im Kurs. Fast alle Medienhäuser haben digitale Briefkästen eingerichtet, in denen man anonym Hinweise ablegen kann, wenn man jemandem mit Rang und Namen schaden möchte. Informantenschutz gilt in der Branche als hohes Gut. Blöd nur, wenn der Whistleblower im eigenen Haus sitzt. Dann fliegen alle Grundsätze aus dem Fenster, wie man bei der „SZ“ sieht: Die Hochachtung vor dem anonymen Tippgeber ebenso wie der Informantenschutz.

Im Fall der „Süddeutschen“ begann die Malaise mit einem Bericht im Branchendienst „Medieninsider“, wonach es die stellvertretende Chefredakteurin in ihren Texten mit den Quellenangaben nicht immer ganz genau genommen habe. In drei Artikeln ließen sich Stellen ausmachen, die sie aus anderen Artikeln kopiert hatte, ohne den Urheber zu nennen. Shit happens, hätte ich gesagt: Wer viel schreibt, langt auch mal daneben. Zumal in einer Tageszeitung, wo es schnell gehen muss. Aber so konnte man die Plagiatsaffäre in der Hultschiner Straße, dem Redaktionssitz der „SZ“, nicht sehen.

Chefredakteur Wolfgang Krach nahm sich die Sache sehr zu Herzen. Auf einer Redaktionskonferenz sprach er mehrfach von einer Verleumdung, um die „SZ“ zu diskreditieren. Postwendend fand sich auch dieser Auftritt im „Medieninsider“ wieder. Wir Journalisten sind eine verschwatzte Bande. Wer von der Indiskretion lebt, ist selbst nicht immer der Verschwiegenste, Gott sei’s geklagt.

Im Nachhinein müssen Rechtfertigungen her, warum man heimlich die Verbindungsdaten der Redakteure auslesen ließ. Eine Redaktionskonferenz sei ein besonders geschützter Ort, heißt es in einer Stellungnahme der Zeitung. „Wenn das Herz einer Redaktion abgehört wird, können wir das nicht hinnehmen“, erklärte Krach. Ein Lauschangriff wäre in der Tat ein gravierender Vorgang. Ein Journalist, der heimlich mitschreibt, bewegt sich im Rahmen des Erlaubten. Ein Journalist, der heimlich das Tonband einschaltet, steht mit einem Fuß im Gefängnis.

Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass irgendjemand irgendetwas mitgeschnitten hätte. Oder dass einer der Redakteure die Geistesgegenwart besessen haben könnte, rechtzeitig vor der großen Aussprache den Konferenzraum zu verwanzen, wie es die Chefredaktion nahelegt. Wohlweislich hat sie die vermeintliche Straftat nie zur Anzeige gebracht. Man habe die Polizei nicht im Haus haben wollen, heißt es dazu – wegen des Informantenschutzes. Wie alle Scharaden hat auch diese ihre komischen Seiten.

Ich habe beim „Spiegel“ so manchen Chefredakteurswechsel erlebt, darunter auch den einen oder anderen unfreiwilligen. Natürlich haben die „SZ“-Kollegen in München jeweils regen Anteil am Geschehen genommen. Als Wolfgang Büchner beim „Spiegel“ der Garaus gemacht wurde, konnte man auf den Seiten der „Süddeutschen“ im Wochenprotokoll den Fortgang der Erledigung lesen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Wolfgang Krach damals von einem Angriff auf die Pressefreiheit gewarnt oder sich Sorgen um den Schutzraum der Redaktionskonferenz gemacht hätte.

Wie kommt man auf die Idee, wegen einer vergleichsweisen Lappalie die IT-Experten gegen die eigenen Leute in Marsch zu setzen? Ich kann mir das allenfalls mit einem bestimmten Mindset erklären. Wer von der eigenen Bedeutung so durchdrungen ist, dass er nur noch mit Stock im Hintern gehen kann, dem gerät alles zur Staatsaffäre, auch der Bericht über ein paar abgeschriebene Absätze. Wie man lesen konnte, hat Krach neulich einem Berliner Rechtsanwalt gerichtlich verbieten lassen wollen, im Zusammenhang mit der „SZ“-Berichterstattung über Till Lindemann von „Belastungseifer” zu sprechen.

Ich komme aus einer Generation, für die Belastungseifer noch eine Auszeichnung war. Was haben wir nicht dem armen Gerhard Schröder das Leben schwer gemacht und Joschka Fischer obendrein. War es ungerecht, aus ein paar Tausend fälschlicherweise ausgestellten Visa in Kiew die große Visa-Affäre zu machen? Natürlich war es das. Aber es war auch ein Riesenspaß.

Vielleicht glauben sie an der Hultschiner Straße wirklich, sie hätten sich die niederen Beweggründe abgewöhnt und würden nun jeden Tag für den Erhalt der Demokratie streiten. Das Problem ist: Auch die meisten Texte lesen sich inzwischen so, als führe der Bundespräsident den Stift. Die erhabene Langeweile, die viele Artikel durchzieht, wird nur noch von der Ehrpusseligkeit der Führungsleute übertroffen. Man sieht es ihnen auch an. Wer sich die Führungsriege anschaut, blickt in die Gesichter von Menschen, die so wirken, als hätten sie zehn Magenbitter auf Ex gekippt.

Es gibt wunderbare Journalisten bei der „SZ“, das will ich ausdrücklich sagen. Roman Deiningers Beobachtungen der CSU sind zum Niederknien. Willi Winkler über die linken Heroen von damals: immer ein Gewinn. Wenn Hilmar Klute sich Gedanken zum Stand der Komik macht, nicke ich bei jedem Satz. Aber halt, ich muss vorsichtig sein, wen ich nenne. Am Ende heißt es noch, die Kollegen hätten für diesen Text mit mir gesprochen.

Am Donnerstag machte die Meldung die Runde, die stellvertretende Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid habe sich möglicherweise etwas angetan. Anfang der Woche hatte Wolfgang Krach eine Wahrheitskommission eingerichtet, um die gegen sie gerichteten Plagiatsvorwürfe zu untersuchen, was den Fall endgültig auf die Ebene der Großaffäre hob. Am Freitag dann die erlösende Nachricht: Sie wurde in der Nähe ihres Heimatdorfs gefunden.

Die Umstände des Verschwindens sind ungeklärt. Aber vielleicht kann man diese Geschichte ja zum Anlass nehmen, nicht jeden Fehler zum Skandal aufzublasen. Manchmal sind Schnitzer nur Schnitzer und Unachtsamkeiten nur Unachtsamkeiten. Das gilt übrigens in alle politischen Richtungen.

 

© Silke Werzinger

Einige Anmerkungen zur AfD

Steht Deutschland vor der nächsten Machtübernahme? Droht die Massendeportation von allen, die sich nicht einfügen wollen? Der Irrsinn bei der AfD korrespondiert leider mit der Maßlosigkeit der journalistischen Bewertung

Um es vorwegzuschicken: Ich hege Null Sympathien für die AfD. Wenn die AfD morgen verboten würde, wäre mir das auch recht. Ich halte es für unzutreffend, sie als Nazipartei zu bezeichnen, wie es der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst getan hat. Zutreffend wäre es, sie als Partei zu bezeichnen, in der Leute den Ton angeben, die nicht nur wie Nazis aussehen, sondern auch wie Nazis denken und reden.

Wenn ich mir den Parteivorsitzenden Tino Chrupalla anschaue, erkenne ich eine Physiognomie wieder, die man als deutsches Gesicht bezeichnen kann. Hätte Quentin Tarantino einen Nachfolger des SS-Offiziers Hans Landa zu besetzen, der Malermeister aus Sachsen wäre eine Empfehlung. Wobei, ich muss mich korrigieren. Das ist Unsinn. Über die SA wäre einer wie Chrupalla nie hinausgekommen.

Ist die AfD auch so gefährlich, wie es die historischen Vergleiche vermuten lassen? Das ist die Frage der Stunde. Wer die Zeitungen aufschlägt, muss den Eindruck gewinnen, dass uns nur noch ein Wimpernschlag von der nächsten Machtergreifung trennt, an dem die braunen Horden wieder durchs Brandenburger Tor marschieren.

Ende November traf sich ein Trupp AfD-Sympathisanten in einem Hotel in der Nähe von Potsdam zu einem Geheimtreffen, das dann so geheim war, dass ein Reporterteam den Ort rechtzeitig mit einem halben Dutzend Kameras und Mikrofonen ausgestattet hatte. Ein Vortrag handelte davon, wie man Leute, von denen man meint, dass sie nicht dazugehören, außer Landes schafft. Das gilt als Beweis, dass es fünf vor zwölf ist.

Das Treffen sei ein Weckruf, schrieb die stellvertretende Chefredakteurin des „Spiegel“, Melanie Amann. Hinter der AfD stehe eine brutale, faschistoide Ideologie, deren bürokratische Details die AfD-Leute im Stil der Wannseekonferenz bis ins Einzelne ausgetüftelt hätten.

Einen See weiter steht auch das Haus der Wannseekonferenz. Darauf hinzuweisen hatten schon die Reporter des Recherchenetzwerks „Correctiv“ nicht verzichten können. Sie hatten sogar die Entfernung vermessen (acht Kilometer). Das ist das Problem der deutschen Geschichte: In der Nähe zu nahezu jeder Konferenz findet sich ein böser Ort, das ist unvermeidlich. Wollte man es darauf anlegen, könnte man auch von Redaktionssitzungen des „Spiegel“ im Reichskanzleistil reden, weil zwischen dem Berliner Büro und Hitlers Führungssitz lediglich zwei Kilometer liegen.

Der Irrsinn der Deportationspläne korrespondiert mit der Maßlosigkeit der journalistischen Bewertung. Wissen Journalisten, die vom Wannseekonferenzstil reden, was auf der Wannseekonferenz besprochen wurde? Kennen sie die Liste der Teilnehmer? Ist ihnen bewusst, dass es sich dabei nicht um irgendwelche mediokren Gestalten handelte, deren Namen man sich erst zusammengoogeln musste, sondern um die damals mächtigsten Männer des deutschen Staates?

Ich verstehe die Beweggründe. Man will aufrütteln, Bewusstsein schaffen. Es geht auch darum, eine Rampe für das Verbotsverfahren zu bauen. Aber ich fürchte, man erreicht das Gegenteil von dem, was man erreichen will. Die Leute schauen sich die Hanseln an, die am Lehnitzsee in Potsdam die große Massenverschiffung aller kulturfremden Personen nach Nordafrika planten, und können sich einfach nicht fürchten. Sie haben sich übrigens auch vor dem Putsch-Prinzen in seinem Tweedsakko nicht gefürchtet, obwohl in den Zeitungen stand, die Behörden hätten knapp einen Staatsstreich vereitelt.

Ich wäre sehr dafür, die Gewaltenteilung zu beachten, zumal wenn man sich die Verteidigung der Demokratie auf die Fahne geschrieben hat. Es ist nicht Sache des Verfassungsschutzes, den Regierungsparteien unerwünschte Konkurrenz vom Leibe zu halten. Und Journalisten sind keine Verfassungsschützer. Wir müssen berichten, was wir sehen und hören. Wir sollten das beurteilen und meinetwegen auch verdammen. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, Parteien groß oder klein zu schreiben. Genau das aber ist der Anspruch vieler AfD-Beobachter.

Schon der Name „Correctiv“ ist genau besehen eine Anmaßung. Wer oder was soll hier korrigiert werden? Die privaten Medienhäuser, die nach Auffassung der „Correctiv“-Macher nur unzureichend ihrem Job nachkommen? Oder die politische Richtung des Landes, die man für falsch hält?

Unabhängiger zu sein als andere, das ist das Versprechen. Wenn man genauer hinsieht, stellt man allerdings fest, dass zu den Geldgebern in der Vergangenheit neben diversen staatlichen Stellen auch die Bundesregierung gehörte. So gesehen ist es dann vielleicht nur naheliegend, wenn sich eine der Redaktionsleiterinnen artig beim Bundeskanzler dafür bedankt, dass er ihre Recherche wahrgenommen und gelobt hat. Wenn mich der Kanzler für meine Texte loben würde, wäre mein erster Gedanke: Was habe ich falsch gemacht? Die meisten Kollegen, die ich kenne, denken gottlob ähnlich.

Pünktlich zur „Correctiv“-Recherche hat eine Jury das Wort „Remigration“ zum Unwort des Jahres erklärt. Sie wolle die Sprachsensibilität der Bevölkerung fördern, heißt es auf der Webseite der Jury. Aber ich fürchte, es ist wie so oft: Diejenigen, die ohnehin sensibilisiert sind, sind jetzt noch ein wenig sensibler. Die anderen zucken mit den Achseln oder fühlen sich bestätigt. Der Reiz von Begriffen wie „Remigration“ liegt ja gerade darin, dass es links der Mitte als Unwort gilt, deshalb macht der Gebrauch den Rechten solchen Spaß.

Eines der größten Konjunkturprogramme für die AfD sind die aufrechten Kämpfer, für die die Neuauflage der Wannseekonferenz schon mit der Asyldiskussion im Kanzleramt beginnt. Die unvermeidliche Luisa Neubauer brachte es auf den Punkt, als sie den Kanzler per Tweet daran erinnerte, dass bei den Demos gegen die AfD auch gegen ihn und seine Politik demonstriert werde. In der „FAZ“ verstieg sich der Redakteur Patrick Bahners zu der Behauptung, in der Sache ginge das Nordafrika-Konzept nur „ein oder zwei Schritte“ über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition hinaus.

Tatsächlich schwanken die Warner, wie sie die AfD sehen sollen. Einerseits betonen sie, dass die AfD völlig anders sei als andere Parteien, was sie so gefährlich mache. Anderseits sieht man überall Kontinuitäten. Wenn im Prinzip zwischen dem Wunsch des Kanzlers, Ausländer ohne Bleiberecht schneller abzuschieben, und den Deportationsfantasien eines österreichischen Identitären nur noch wenige Schritte liegen, ist die AfD eine ganz normale Partei. Warum sie dann aber verbieten wollen?

Was also soll man tun? Ich will mich da nicht aus der Affäre stehlen. Ich wäre erstens dafür, die Dinge beim Namen zu nennen. Natürlich handelt es sich beim völkischen Nationalstaat, wie ihn sich die AfD erträumt, um eine Reinheitsidee, bei der die Rasse-Reinheit durch Kultur-Reinheit ersetzt wurde – was denn sonst?

Ich habe auch nichts gegen Wählerbeschimpfung. Wer AfD wählt, soll ruhig merken, dass seine Entscheidung bei anderen auf Befremden stößt. Wenn jemand einen Politiker toll findet, der statt der Elvis-Imitation die Goebbels-Imitation zu seinem Markenzeichen gemacht hat, hat er es verdient, dass man ihm einen Vogel zeigt.

Aber wir sollten mit der Hysterie aufhören. Wenn sie in der AfD könnten, wie sie wollten, haben viele nichts mehr zu lachen, Lästermäuler wie ich eingeschlossen, kein Vertun. Nach Lage der Dinge wird allerdings noch eine Zeit vergehen bis zur Machtübernahme.

Selbst wenn Björn Höcke eines Tages Ministerpräsident in Thüringen sein sollte (was den vorliegenden Umfragen zufolge frühestens 2029 geschieht), wird sich am Grundgesetz nichts ändern. Und am Einwanderungsrecht auch nicht. Und an der Gewaltenteilung ebenso wenig.

Im Zweifel streicht man den Länderfinanzausgleich. Wer sind die größten Nutznießer? Berlin, klar. Aber darauf folgen schon Sachsen mit 3,3 Milliarden Euro, Sachsen-Anhalt mit 2 Milliarden und Thüringen mit 1,9 Milliarden. Bringt das die Wähler von ihrer Meinung ab? Nein. Aber man soll die ernüchternde Wirkung des Geldentzugs auch nicht unterschätzen. Am Gelde hängt, zum Gelde drängt am Ende doch alles.

© Silke Werzinger