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Die Absage

Will Friedrich Merz Bundeskanzler werden? Man weiß es nicht. Was wir dafür jetzt wissen: Er ist der Typ Mensch, auf den man nur so lange bauen kann, wie es keinen Ärger gibt

Wie ruiniert man als führender Politiker den Ruf eines Menschen? Man sagt seine Teilnahme bei einer Konferenz zu. Es gibt Kritik wegen des geplanten Auftritts. Der Mensch, mit dem man zu einem öffentlichen Gespräch verabredet ist, gilt als rechter Hardliner.

Man sagt die Teilnahme wieder ab – allerdings nicht wegen des Treffens mit dem Hardliner, für das man angegriffen wurde, sondern weil man angeblich im Rahmenprogramm auf zwei Namen gestoßen ist, die eine Teilnahme unmöglich machen. Botschaft Nummer eins: Mit dem rechten Trump-Freund hätte man sich ja noch getroffen, aber nicht mit den beiden anderen Vögeln. Botschaft Nummer zwei: Wer die beiden künftig wieder auf ein Podium einlädt, ist nicht ganz bei Trost.

Ich bin mit der Familie im Sommerurlaub in Amerika. Da erreichen einen viele Nachrichten aus der Heimat mit Verspätung. Aber dass der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz seinen Auftritt bei einer Konferenz in Berlin abgesagt hat, weil dort neben dem republikanischen Senator (und Trump-Freund) Lindsey Graham auch der Journalist Henryk M. Broder sowie der Anwalt Joachim Steinhöfel sprechen sollten, das habe ich sogar im fernen Connecticut mitbekommen. Manches mag länger brauchen, bis man davon erfährt, dafür ärgert man sich nachhaltiger.

Ich kenne Henryk Broder, seit ich vor 30 Jahren für den „Spiegel“ von Hamburg nach Berlin wechselte. Ich würde nicht sagen, dass wir befreundet sind, auch wenn wir in manchem Kampf auf einer Seite standen. Freundschaftlich verbunden, das trifft es vielleicht am ehesten. Möglicherweise nehme ich mir die Geschichte deshalb so zu Herzen.

Broder hat schon gegen die Narren links und rechts der Mitte gekämpft, als viele noch glaubten, wahre Idioten gäbe es nur bei den Rechten. Jedes Interview mit ihm enthält mehr in Sottisen verpackte Wahrheit, als die meisten Journalisten in ihrem ganzen Leben an Wahrheit und Sottisen zustande bringen. Vor allem ist er absolut unkorrumpierbar. Vor sechs Wochen hat er sein Engagement bei der „Weltwoche“ beendet, weil er fand, dass er da nicht mehr hinpasst.

Und nun muss ich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lesen, bei näherem Studium der Teilnehmerliste des „Transatlantischen Forums“, also jener geplanten Veranstaltung mit Merz und Graham in Berlin, sei im Büro Merz aufgefallen, dass auch Henryk M. Broder und Joachim Steinhöfel als Redner vorgesehen waren, „zwei Maulhelden jenes rechten Randes des demokratischen Spektrums, mit dessen parteipolitischer Vertretung, der AfD, CDU und CSU in keiner Form zusammenarbeiten möchten“?

Keine Ahnung, was bei der „FAZ“ beziehungsweise in der CDU-Parteizentrale unter Zusammenarbeit verstanden wird: Die Teilnahme an einem Forum, bei dem unterschiedliche Meinungen aufeinanderstoßen, fällt nach landläufiger Auffassung jedenfalls nicht darunter. Man hätte sich vermutlich nicht mal gesehen. Der Auftritt von Merz war für 14 Uhr vorgesehen, der von Broder und Steinhöfel für 10 Uhr. Das Programm stand auch seit Wochen fest, aber vielleicht liest man im Adenauer-Haus aus Prinzip keine Tagungsprogramme über den Auftritt des Parteivorsitzenden hinaus.

Was die AfD-Nähe angeht, scheint ebenfalls der Wunsch Vater der Behauptung zu sein. Broder hat mal einen Vortrag vor der AfD-Fraktion gehalten, zu dem man ihm nur gratulieren kann, wenn man ihn gelesen hat. Steinhöfel hat seinen Rechtsbeistand zugesagt, als der damalige Parteivorsitzende Jörg Meuthen nach einem Anwalt suchte, der willens war, die AfD im Parteiausschlussverfahren gegen Nazis wie den Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz zu vertreten. Die Nazihaftwerdung der AfD schritt dann trotz des Kalbitz-Rauswurfs voran, worauf Steinhöfel sein Mandat wieder niederlegte.

Ich weiß nicht, welche Pläne Friedrich Merz noch hat. Möglicherweise reicht es ihm, Parteivorsitzender und Fraktionschef der CDU zu sein, das wäre ihm zu wünschen. Vielleicht will er aber auch Bundeskanzler werden. Ab einem gewissen Level trauen sich Politiker alles zu, das scheint nahezu unausweichlich. Wenn man Manuela Schwesig fragen würde, ob sie nicht finde, dass sie das Zeug zur Bundeskanzlerin habe, sagte sie garantiert Ja.

Stellen wir uns Merz als Bundeskanzler vor. Wir wissen jetzt: Er ist der Typ Mensch, auf den man nur so lange bauen kann, wie es keinen Ärger gibt. Ich hatte zwischenzeitlich einen anderen Eindruck gewonnen. Ich hielt ihn für einen, der unter Druck Standfestigkeit zeigt. Jetzt weiß ich, er ist doch nur ein Würstchen. Ein sehr reiches Würstchen, keine Frage, mit einer schönen neuen Brille und einem Pilotenschein. Der Pilotenschein hat mich sofort für ihn eingenommen. Franz Josef Strauß hatte ebenfalls einen. Aber das ist leider auch alles, was Merz mit Strauß verbindet.

Die Krux der modernen Konservativen ist, dass sie bei den falschen Leuten ankommen wollen. Ein Linker käme nie auf die Idee, den Beifall der anderen Seite zu suchen. Entweder ist es ihm egal, wie sie im Lager des Gegners über ihn denken. Oder er ist im Gegenteil sogar stolz, dass sie ihn dort hassen. Wer ihn nicht wählt, kann ihm gestohlen bleiben.

So kann der Konservative nicht denken. Konstantin von Notz von den Grünen schreibt auf Twitter, dass Merz nicht mehr alle Latten am Zaun habe? Im Team Merz schlottern ihnen vor Angst die Hosen. Die „Süddeutsche“ findet, dass es sich für den Anführer der größten Oppositionspartei nicht schickt, einen Mann wie Graham zu treffen, der Trump prima findet? Oh Gott, wie kommen wir aus der Nummer wieder heraus? Sagen wir einfach, wir haben das Programm nicht gekannt!

Natürlich würde man sich bei den Linken auch niemals vorschreiben lassen, mit wem man sich zusammensetzen darf und wem nicht. Hans-Christian Ströbele hat als Anwalt sogar waschechte Terroristen vertreten, die nicht nur davon träumten, das System aus den Angeln zu heben, sondern das mit der Waffe in der Hand versuchten.

Hat das die Grünen davon abgehalten, ihn als Direktkandidaten für die Bundestagswahl aufzustellen? Selbstverständlich nicht. Saß er dann im Geheimausschuss des Bundestages, ohne dass die anderen Fraktionen Einspruch erhoben hätten? Aber sicher. Wenn jemand geschrieben hätte, dass man mit Leuten wie Ströbele wegen seiner Mandate nicht zusammenarbeiten dürfe, sie hätten sich bei den Grünen totgelacht.

Manchmal denke ich an Helmut Kohl zurück. Wie hätte Kohl reagiert? Ganz einfach: Wenn einer wie Notz rumkrakeelt hätte, wäre er gleich zweimal zu der Konferenz gekommen, von der man ihm gesagt hätte, dass man da nicht hingehen darf. Im Zweifel stand er auch noch für Fehler ein, die andere gemacht hatten.

Die beste Lebensversicherung eines Ministers in Nöten waren Kommentare, die seine sofortige Absetzung verlangten. Da hielt Kohl schon aus Prinzip an der Person fest, deren Kopf nun allenthalben gefordert wurde. So überlebte Manfred Wörner den Kießling-Skandal, für den er als Verteidigungsminister eigentlich sofort seinen Hut hätte nehmen müssen, und Rita Süssmuth ihre Flugaffäre.

Merz war einer der Ersten, die sich von Kohl lossagten. Man müsse die Distanz vergrößern, den Ton verschärfen, erklärte er, als die Spendenaffäre losbrach. Da war er Fraktionsvize und Kohl gerade als Kanzler abgewählt. Schon von der Mutter habe er gelernt, dass „die Hand, die segnet, zuerst gebissen wird“, vertraute Kohl darauf seinem „Tagebuch“ an.

Merz brauchte 22 Jahre, bis er endlich das wurde, was zu werden er schon damals erhofft hatte. Der Verrat zahlt sich für den Verräter nicht immer aus.

©Michael Szyszka

Der Rabauke

Viel spricht gegen Friedrich Merz als neue Führungsfigur der CDU: Er ist arrogant, eitel, unbeherrscht. Aber vermutlich verkörpert er das einzige Stück Hoffnung, das zwischen Partei und Abgrund steht

Ich war immer gegen Friedrich Merz als Parteivorsitzender. Ich glaube keine Sekunde, dass die CDU mit ihm an der Spitze besser gefahren wäre als mit Armin Laschet.

Das größere Publikum sieht ihn skeptisch, um mit dem Offensichtlichen zu beginnen. Merz ist der Kandidat für diejenigen, die schon überzeugt sind – der Prediger für die Konvertierten. Da kommt er toll an, egal, wie enttäuschend sein Auftritt im Zweifelsfall auch sein mag. Normale Menschen ohne feste Parteibindung hingegen finden ihn eher unsympathisch.

Er ist zu aggressiv für einen Kanzlerkandidaten, zu unbeherrscht, auch zu schroff im Umgang. Wenn er spricht, merkt man ihm die mühsam unterdrückte Verachtung für diejenigen an, die er für Leute unter seiner Würde hält. Da das nahezu jeder ist, der nicht über mindestens drei Aufsichtsratsmandate oder einen Nobelpreis verfügt, bleiben nur wenige, die er als ebenbürtig empfindet.

Außerdem hat Merz ein Psychoproblem. Bis heute hat er nicht verwunden, dass er vor zwanzig Jahren von einer Frau aus Ostdeutschland um den Fraktionsvorsitz gebracht wurde und damit um die Chance, Helmut Kohl im Kanzleramt nachzufolgen. Selbstverständlich hält er sich auch für den geborenen Kanzler. Selbst die Millionen, die er zwischenzeitlich als Anwalt verdient hat, machen diese Niederlage nicht wett. Wie es sich manchmal verhält bei reichen Menschen: Alles Geld der Welt ist nichts im Vergleich zu dem Preis, den man erringen wollte, aber nicht errungen hat.

Von dem seltsamen Eierkopf mit dem merkwürdigen Bürzel in der Mitte, den Merz sich im Alter zugelegt hat, will ich gar nicht reden. Leser meiner Kolumne wissen, dass ich das Äußere bei Politikern für ein sträflich unterschätztes Kriterium halte. Aus der Tatsache, dass wir Journalisten uns abgewöhnt haben, darüber zu schreiben, wie einer oder eine aussieht, folgt nicht, dass auch die Wähler darüber hinwegsehen.

Trotzdem bin ich in dieser Woche zu der Überzeugung gelangt, dass es für die CDU wünschenswert wäre, wenn Merz an die Spitze rückt. Er verkörpert möglicherweise das einzige Stück Hoffnung, das noch zwischen Partei und Abgrund steht.

Woher der Sinneswandel? Gesucht wird jetzt ein Oppositionsführer, nicht ein Kanzlerkandidat. Das wiederum verlangt nach ganz anderen Fähigkeiten. Ein Parteiführer darf ruhig unduldsam auftreten. Das Publikum, das er überzeugen muss, sind die Anhänger, nicht die Schwankenden, die unschlüssig sind, ob sie nun die Union wählen sollen oder nicht.

Der Anhänger wünscht sich auch nicht Annäherung, sondern Abgrenzung zum politischen Gegner. Je öfter und eindringlicher man ihm sagt, warum er richtigliegt und der andere ganz und gar falsch, desto besser fühlt er sich.

Wenn man Wahlen gewinnen will, ist das ein gefährlicher Weg. Mit jedem Auftritt, der die Reihen schließt, verprellt man Unentschlossene. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl sind es vier Jahre hin. Jetzt geht es darum, die Verstörten und Verzagten in der eigenen Partei aufzurichten, und da kann ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein nicht schaden.

Ich habe Merz vor vier Wochen getroffen, anlässlich der Aufzeichnung der Maischberger-Sendung direkt vor der Wahl. Er weiß, wie ich über ihn denke. Ich habe aus meiner Meinung nie ein Geheimnis gemacht, auch auf diesen Seiten nicht. Andererseits ist er Profi, also haben wir ein paar freundliche Worte gewechselt.

Dann saß er mit Hubertus Heil, dem Bundesarbeitsminister und zweitmächtigsten Mann der SPD, zum Gespräch im Studio. Mir war nicht klar, dass Heil offenbar Merz geradezu hasst. Die Animosität war körperlich zu spüren. Ein Höhepunkt war, als Heil seinen Kontrahenten belehrte, dass er einen „Bundesminister und Mitbürger“ vor sich habe, worauf Merz nur die Augen verdrehte. Zwanzig Minuten ging das so, aber Merz wich keinen Zentimeter zurück. In dem Augenblick dachte ich: Stehvermögen hat er.

Wir haben uns an diesen diplomatischen Politikertypus gewöhnt, der jedem Streit aus dem Weg geht. Oder ihn weglächelt. Der große Vorteil von Merz ist, dass er niemandem außerhalb der Partei mehr gefallen muss, auch nicht den Journalisten. Die vordringliche Aufgabe des neuen Parteichefs ist es, die Fliehkräfte im eigenen Lager zu stoppen. Dazu braucht es jemanden, der über Erfahrung, aber auch Härte und Entschlossenheit verfügt.

Ich höre schon die vernichtenden Urteile, sollte es wirklich Merz werden: „CDU auf dem Weg ins Gestern“, „Rückfall in die Neunziger“. Aber erstens wählt kein Journalist, den ich kenne, CDU. Und wenn es darauf ankommt, fallen sie in den Medienhäusern ohnehin über den Unionskandidaten her. Wenn es einen Kandidaten der Mitte gab, dann war es Armin Laschet. Kein böses Wort gegen die Kanzlerin – keine Kurskorrektur, weder in der Flüchtlings- noch in der Sozialpolitik. Und was hat es ihm genützt? Nichts. Am Ende galt er doch als der Tropf, der Deutschland angeblich wieder nach rechts führen wollte.

Ein anderer Weg, sich einem künftigen Parteichef zu nähern, führt über das Ausschlussverfahren. Das wäre dann die Frage: Wer soll es stattdessen machen? Der wohlerzogene Herr Röttgen, der immer so spricht, dass man denkt: „Klar, er und die Annalena, das wäre schon ein tolles Team gewesen“? Oder Gesundheitsminister Jens Spahn, der Mann, der nicht mal sein eigenes Ministerium im Griff hatte? Der erst vergangene Woche wieder erklären musste, dass man sich im RKI, sorry, sorry, bei der Zahl der Geimpften um 3,5 Millionen Menschen verrechnet habe?

Es gibt Leute, die schwören auf Ralph Brinkhaus, den Unionsfraktionsvorsitzenden. Ich habe auch mit Brinkhaus meine Talkshow-Erfahrungen gemacht. Vor zwei Jahren saßen wir beide ebenfalls im Studio, zusammen mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil und Katrin Göring-Eckardt von den Grünen. Damals war Annegret Kramp-Karrenbauer noch Parteivorsitzende. Kurz nach ihrem Amtsantritt hatte sie mit einem Witz über Gender-Toiletten in Berlin Aufsehen erregt, was bei jemandem wie Katrin Göring-Eckardt naturgemäß auf heftigste Missbilligung stieß.

Als ich an der Reihe war, sagte ich, mir habe imponiert, dass Frau Kramp-Karrenbauer nicht gleich beim ersten Sturm eingeknickt sei. Ein Witz, na und? Und wer schüttelt an dieser Stelle missbilligend den Kopf? Der Fraktionsvorsitzende der Union Ralph Brinkhaus. Ich dachte, ich fasse es nicht. Nach der Aufzeichnung kam er auf mich zu und sagte, ich hätte mit meiner Kritik an den Grünen ja recht, aber das könne er in einer Talkshow nicht offen sagen, das würde zu viele Stimmen kosten.

Das politische Geschäft kennt zwei sehr gegensätzliche Typen von Menschen: den Gremienarbeiter und den Rabauken. Der Gremienarbeiter verlässt sich beim Aufstieg auf die Funktionärselite, die über die Verteilung von Posten bestimmt und für die vor allem zählt, wie zuverlässig einer der Sache gedient hat, aus welchem Landesverband er kommt und welchem politischen Flügel er angehört.

Der Rabauke hingegen sucht sein Heil in der Auseinandersetzung mit dem Gegner. Er macht sein Fortkommen von der Zustimmung der Basis abhängig, was voraussetzt, dass er von dieser verstanden und respektiert wird. Der Fighter ist deshalb immer versucht, den Stimmungen und Wünschen seines Publikums zu entsprechen. Der Gremienmensch nennt das „populistisch“, der Wahlkämpfer „populär“.

Man kann gegen Merz sagen, was man will: Aber dass er sich auf die Gremien verlassen hätte, ist definitiv kein Vorwurf, den man ihm machen kann. Seine stärkste Karte war immer der Rückhalt, den er bei den Mitgliedern genoss. Ein wenig mehr Populismus könnte der CDU in ihrer jetzigen Verfassung nicht schaden.

©Michael Szyszka