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Der Rabauke

Viel spricht gegen Friedrich Merz als neue Führungsfigur der CDU: Er ist arrogant, eitel, unbeherrscht. Aber vermutlich verkörpert er das einzige Stück Hoffnung, das zwischen Partei und Abgrund steht

Ich war immer gegen Friedrich Merz als Parteivorsitzender. Ich glaube keine Sekunde, dass die CDU mit ihm an der Spitze besser gefahren wäre als mit Armin Laschet.

Das größere Publikum sieht ihn skeptisch, um mit dem Offensichtlichen zu beginnen. Merz ist der Kandidat für diejenigen, die schon überzeugt sind – der Prediger für die Konvertierten. Da kommt er toll an, egal, wie enttäuschend sein Auftritt im Zweifelsfall auch sein mag. Normale Menschen ohne feste Parteibindung hingegen finden ihn eher unsympathisch.

Er ist zu aggressiv für einen Kanzlerkandidaten, zu unbeherrscht, auch zu schroff im Umgang. Wenn er spricht, merkt man ihm die mühsam unterdrückte Verachtung für diejenigen an, die er für Leute unter seiner Würde hält. Da das nahezu jeder ist, der nicht über mindestens drei Aufsichtsratsmandate oder einen Nobelpreis verfügt, bleiben nur wenige, die er als ebenbürtig empfindet.

Außerdem hat Merz ein Psychoproblem. Bis heute hat er nicht verwunden, dass er vor zwanzig Jahren von einer Frau aus Ostdeutschland um den Fraktionsvorsitz gebracht wurde und damit um die Chance, Helmut Kohl im Kanzleramt nachzufolgen. Selbstverständlich hält er sich auch für den geborenen Kanzler. Selbst die Millionen, die er zwischenzeitlich als Anwalt verdient hat, machen diese Niederlage nicht wett. Wie es sich manchmal verhält bei reichen Menschen: Alles Geld der Welt ist nichts im Vergleich zu dem Preis, den man erringen wollte, aber nicht errungen hat.

Von dem seltsamen Eierkopf mit dem merkwürdigen Bürzel in der Mitte, den Merz sich im Alter zugelegt hat, will ich gar nicht reden. Leser meiner Kolumne wissen, dass ich das Äußere bei Politikern für ein sträflich unterschätztes Kriterium halte. Aus der Tatsache, dass wir Journalisten uns abgewöhnt haben, darüber zu schreiben, wie einer oder eine aussieht, folgt nicht, dass auch die Wähler darüber hinwegsehen.

Trotzdem bin ich in dieser Woche zu der Überzeugung gelangt, dass es für die CDU wünschenswert wäre, wenn Merz an die Spitze rückt. Er verkörpert möglicherweise das einzige Stück Hoffnung, das noch zwischen Partei und Abgrund steht.

Woher der Sinneswandel? Gesucht wird jetzt ein Oppositionsführer, nicht ein Kanzlerkandidat. Das wiederum verlangt nach ganz anderen Fähigkeiten. Ein Parteiführer darf ruhig unduldsam auftreten. Das Publikum, das er überzeugen muss, sind die Anhänger, nicht die Schwankenden, die unschlüssig sind, ob sie nun die Union wählen sollen oder nicht.

Der Anhänger wünscht sich auch nicht Annäherung, sondern Abgrenzung zum politischen Gegner. Je öfter und eindringlicher man ihm sagt, warum er richtigliegt und der andere ganz und gar falsch, desto besser fühlt er sich.

Wenn man Wahlen gewinnen will, ist das ein gefährlicher Weg. Mit jedem Auftritt, der die Reihen schließt, verprellt man Unentschlossene. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl sind es vier Jahre hin. Jetzt geht es darum, die Verstörten und Verzagten in der eigenen Partei aufzurichten, und da kann ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein nicht schaden.

Ich habe Merz vor vier Wochen getroffen, anlässlich der Aufzeichnung der Maischberger-Sendung direkt vor der Wahl. Er weiß, wie ich über ihn denke. Ich habe aus meiner Meinung nie ein Geheimnis gemacht, auch auf diesen Seiten nicht. Andererseits ist er Profi, also haben wir ein paar freundliche Worte gewechselt.

Dann saß er mit Hubertus Heil, dem Bundesarbeitsminister und zweitmächtigsten Mann der SPD, zum Gespräch im Studio. Mir war nicht klar, dass Heil offenbar Merz geradezu hasst. Die Animosität war körperlich zu spüren. Ein Höhepunkt war, als Heil seinen Kontrahenten belehrte, dass er einen „Bundesminister und Mitbürger“ vor sich habe, worauf Merz nur die Augen verdrehte. Zwanzig Minuten ging das so, aber Merz wich keinen Zentimeter zurück. In dem Augenblick dachte ich: Stehvermögen hat er.

Wir haben uns an diesen diplomatischen Politikertypus gewöhnt, der jedem Streit aus dem Weg geht. Oder ihn weglächelt. Der große Vorteil von Merz ist, dass er niemandem außerhalb der Partei mehr gefallen muss, auch nicht den Journalisten. Die vordringliche Aufgabe des neuen Parteichefs ist es, die Fliehkräfte im eigenen Lager zu stoppen. Dazu braucht es jemanden, der über Erfahrung, aber auch Härte und Entschlossenheit verfügt.

Ich höre schon die vernichtenden Urteile, sollte es wirklich Merz werden: „CDU auf dem Weg ins Gestern“, „Rückfall in die Neunziger“. Aber erstens wählt kein Journalist, den ich kenne, CDU. Und wenn es darauf ankommt, fallen sie in den Medienhäusern ohnehin über den Unionskandidaten her. Wenn es einen Kandidaten der Mitte gab, dann war es Armin Laschet. Kein böses Wort gegen die Kanzlerin – keine Kurskorrektur, weder in der Flüchtlings- noch in der Sozialpolitik. Und was hat es ihm genützt? Nichts. Am Ende galt er doch als der Tropf, der Deutschland angeblich wieder nach rechts führen wollte.

Ein anderer Weg, sich einem künftigen Parteichef zu nähern, führt über das Ausschlussverfahren. Das wäre dann die Frage: Wer soll es stattdessen machen? Der wohlerzogene Herr Röttgen, der immer so spricht, dass man denkt: „Klar, er und die Annalena, das wäre schon ein tolles Team gewesen“? Oder Gesundheitsminister Jens Spahn, der Mann, der nicht mal sein eigenes Ministerium im Griff hatte? Der erst vergangene Woche wieder erklären musste, dass man sich im RKI, sorry, sorry, bei der Zahl der Geimpften um 3,5 Millionen Menschen verrechnet habe?

Es gibt Leute, die schwören auf Ralph Brinkhaus, den Unionsfraktionsvorsitzenden. Ich habe auch mit Brinkhaus meine Talkshow-Erfahrungen gemacht. Vor zwei Jahren saßen wir beide ebenfalls im Studio, zusammen mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil und Katrin Göring-Eckardt von den Grünen. Damals war Annegret Kramp-Karrenbauer noch Parteivorsitzende. Kurz nach ihrem Amtsantritt hatte sie mit einem Witz über Gender-Toiletten in Berlin Aufsehen erregt, was bei jemandem wie Katrin Göring-Eckardt naturgemäß auf heftigste Missbilligung stieß.

Als ich an der Reihe war, sagte ich, mir habe imponiert, dass Frau Kramp-Karrenbauer nicht gleich beim ersten Sturm eingeknickt sei. Ein Witz, na und? Und wer schüttelt an dieser Stelle missbilligend den Kopf? Der Fraktionsvorsitzende der Union Ralph Brinkhaus. Ich dachte, ich fasse es nicht. Nach der Aufzeichnung kam er auf mich zu und sagte, ich hätte mit meiner Kritik an den Grünen ja recht, aber das könne er in einer Talkshow nicht offen sagen, das würde zu viele Stimmen kosten.

Das politische Geschäft kennt zwei sehr gegensätzliche Typen von Menschen: den Gremienarbeiter und den Rabauken. Der Gremienarbeiter verlässt sich beim Aufstieg auf die Funktionärselite, die über die Verteilung von Posten bestimmt und für die vor allem zählt, wie zuverlässig einer der Sache gedient hat, aus welchem Landesverband er kommt und welchem politischen Flügel er angehört.

Der Rabauke hingegen sucht sein Heil in der Auseinandersetzung mit dem Gegner. Er macht sein Fortkommen von der Zustimmung der Basis abhängig, was voraussetzt, dass er von dieser verstanden und respektiert wird. Der Fighter ist deshalb immer versucht, den Stimmungen und Wünschen seines Publikums zu entsprechen. Der Gremienmensch nennt das „populistisch“, der Wahlkämpfer „populär“.

Man kann gegen Merz sagen, was man will: Aber dass er sich auf die Gremien verlassen hätte, ist definitiv kein Vorwurf, den man ihm machen kann. Seine stärkste Karte war immer der Rückhalt, den er bei den Mitgliedern genoss. Ein wenig mehr Populismus könnte der CDU in ihrer jetzigen Verfassung nicht schaden.

©Michael Szyszka

Der mit der Stimmung reitet

Die Mehrheit wünscht sich Markus Söder als Kanzlerkandidaten. Er selbst hält sich ohnehin für den besten Mann an der Spitze der Union. Aber wäre er auch ein guter Kanzler?

Markus Söder soll Kanzlerkandidat werden, so sagen es die Umfragen. 56 Prozent der Deutschen finden, dass er ein guter Kandidat wäre. Von Friedrich Merz glauben das nur 33 Prozent. Über den armen Armin Laschet sagt das nicht mal ein Viertel der Wähler, daran wird auch die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen wenig ändern.

Ich bin bei Söder befangen, wie bei allem, was Bayern und die CSU angeht. Ich lebe seit sechs Jahren in München. Wie viele Migranten neige ich zur Überidentifikation mit der neuen Heimat. Ich sage „Grüß Gott“, wenn ich ein Geschäft betrete, und verabschiede mich mit einem herzlichen „Pfiati“. Irgendwo habe ich sogar eine Lederhose, die ich gleich nach meinem Umzug erstanden habe.

Ich gehöre auch zu den wenigen Journalisten, die sich für Söder als bayerischen Ministerpräsidenten ausgesprochen haben, und zwar zu einem Zeitpunkt, als noch unklar war, ob es Horst Seehofer nicht doch gelingen würde, ihn als Nachfolger zu verhindern. Ich weiß nicht, ob das für oder gegen mich spricht. Aus Sicht der Mehrheit meiner Kollegen vermutlich klar gegen mich. Immerhin zeigt es, denke ich, dass ich bei meinen Einschätzungen zum Verlauf der söderschen Karriere nicht ganz falsch liege.

Söder würde gerne Kanzler werden, daran habe ich keinen Zweifel. Im Augenblick spielt er auf Zeit, das heißt, er sagt, dass sein Platz in Bayern sei (wo sollte er auch sonst sein, auf Bornholm?). Auch habe die CDU als größere Schwester das geborene Vorschlagsrecht. Was man eben so sagt, wenn noch nicht einmal ausgemacht ist, dass einen die eigenen Leute als Kandidaten wollen.

Im Gegensatz zu seinem Image ist Söder ein vorsichtiger Mensch. Wie alle Instinktpolitiker hat er ein Gefühl für Stimmungen und Stimmungsumschwünge. Notfalls hilft er mit Umfragen nach. Wenn er einen politischen Standortwechsel einleitet, heißt das also, dass er dort bleibt, wo er schon vorher war: nämlich bei der Mehrheit.

Söder ist kein Politiker, der den Menschen Größeres zumuten würde. Er käme nie auf die Idee, wie sein Vorvorgänger Edmund Stoiber aus politischem Ehrgeiz ein Projekt anzuschieben, das zwar sachlich geboten erscheint, aber bei einer nennenswerten Zahl von Wählern nur Missmut weckt. Man kann das für Opportunismus halten – oder für eine erfrischend unideologische Herangehensweise.

Als die AfD zulegte, war Söder der entschiedenste Flüchtlingspolitik-Kritiker in der Union. Als die Grünen ihren Höhenflug antraten, umarmte er jeden Zweig und jeden Strauch, der nicht rechtzeitig Reißaus nehmen konnte. Selbstverständlich setzte er sich auch an die Spitze des Volksbegehrens gegen das Bienensterben, als sich die Schlange der Unterzeichner vor dem Münchner Rathaus bis zum Stachus zu ziehen drohte. In ganz Deutschland wird man keinen größeren Bienenfreund als den bayerischen Ministerpräsidenten antreffen!

Jetzt ist er eben der oberste Corona-Bekämpfer, jedenfalls bis zu dem Moment, an dem die Stimmung kippt und sich die Vorstellung durchsetzt, man übertreibe es mit der Maskenpflicht. Dann wird er davor warnen, dass man bei aller Sorge um die Gesundheit auch die Freiheitsrechte im Blick behalten müsse.

Zwei Mal in der Geschichte der Bundesrepublik haben Politiker aus Bayern versucht, ins Kanzleramt vorzustoßen, der eine war Franz Josef Strauß, der andere Stoiber. Beide Male ging es schief. Strauß, den sie bis heute in der CSU wie einen Heiligen verehren, war die Personifikation des bayerischen Starkbier-Politikers: hinreißend im Auftritt, intellektuell brillant und erstaunlich emotional, was seine Feinde dann erfolgreich gegen ihn zu wenden wussten. Der sehr viel diszipliniertere Stoiber kam dem Kanzleramt bis auf ein paar Tausend Stimmen nahe, aber auch hier überwog am Ende das Misstrauen des evangelischen Nordens gegenüber dem katholischen Süden.

Hätte Söder das Zeug zum Kanzler? Das ist eine Frage, die interessanterweise kaum gestellt wird. Söder ist vor allem auch ein sehr misstrauischer Mensch, was man auf den ersten Blick nicht vermuten sollte. Niemand beackert so hingebungsvoll die Bierzelte wie er. Wenn es irgendwo ein Volksfest oder eine Feuerwehreinweihung zu feiern gibt, dann ist er zur Stelle. Hier liegt die Wurzel seiner Popularität, gegen die nicht einmal Seehofer ankam, der nun wirklich alles daran gesetzt hat, ihm den Weg in die Staatskanzlei zu verlegen.

Seine hart erarbeitete Volkstümlichkeit täuscht allerdings darüber hinweg, dass er in Wahrheit ein Einzelgänger ist. Söders größte Schwäche besteht darin, dass er unfähig ist, Loyalität zu stiften. Das verbindet ihn mit Seehofer. Aber im Gegensatz zum Bundesinnenminister, der Freude am Spiel mit anderen Menschen hat, ist Söder bei seinen Rochaden kalt bis ins Herz. Von wem er sich keinen Nutzen mehr verspricht, der wird abserviert, das gilt auch für Leute, die ihm bis gerade eben noch treu gedient haben.

Als Minister kann man so agieren, auch als Ministerpräsident. Im Zweifel ist die Angst vor der Bestrafung immer stärker als der Drang, sich der Presse anzuvertrauen. Bei einem Kanzler funktioniert dieses Führungsprinzip nicht mehr, dafür ist das Land und die Zahl derer, die trotz Parteibindung unabhängig von einem sind, zu groß. Wer aber auch in den eigenen Reihen mehr Menschen hat, die einem den Misserfolg wünschen, als Mitstreiter, die am Gelingen interessiert sind, der verzettelt sich irgendwann in Vergeltungs- und Rachegefechten.

Das andere, was mich an der Kanzlereignung zweifeln lässt, ist Söders Wendigkeit. Einer, der ihn seit Langem beobachtet, sagte vor ein paar Tagen zu mir den schönen Satz: „Söder ist immer nur so gut wie das Volk, das er regiert.“ Was bedeutet: Wenn das Volk eine Abbiegung ins Unanständige nimmt, dann ist er nicht der Mann, sich dem entgegenzustellen. Das unterscheidet ihn von Angela Merkel, bei der man trotz aller Umfragehörigkeit wusste, dass es einen Punkt gibt, an dem sie nicht mehr mitmachen würde.

Söder hat im kleinen Kreis erkennen lassen, dass er nur in die Schlacht zieht, wenn die CDU ihn will. Er hält sich für den besten Kandidaten, alles andere wäre bei einem, der sich das wichtigste Staatsamt zutraut, auch widernatürlich. Aber er will nicht enden wie Stoiber, der sich der Union aufdrängte und am Ende von ihr im Wahlkampf im Stich gelassen wurde. Also wird es davon abhängen, was für die CDU mehr zählt: der Stolz, bislang alle Kanzler der Union gestellt zu haben, oder der Blick auf die Umfragen.

Wie wichtig ist die Herkunft? Wir reden viel über Diversität und Vielfalt, aber es ist ganz grundsätzlich die Frage, ob Abstammung und Geburtsort für Söder bei der Kanzlerwahl nicht ein zu großes Handicap sind. Einerseits wird der Bayer an und für sich bewundert, auch wenn man sich das außerhalb nicht gerne eingesteht. Alles an Bayern glänzt: die Verwaltung, die Wirtschaft, der Himmel über den Alpen. Aber das heißt noch lange nicht, dass man einen aus Bayern deshalb im Rest der Republik ans Ruder lassen würde (auch wenn Söder Franke und Protestant ist und damit streng genommen gar kein richtiger Bayer).

Wenn sie eines in Bayern nicht beherrschen, dann, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erinnern sie die ärmeren Verwandten daran, dass sie es sind, die am Ende die Zeche zahlen. Das entspricht durchaus der Realität, macht einen aber halt nicht beliebter. Wenn der arme Verwandte die Gelegenheit hat, es dem reichen Onkel heimzuzahlen, dann nutzt er diese in der Regel, auch wenn er sich selbst damit schadet.

Würden in der Politik nur Ratio und Verstand zählen, dann hätte längst ein Bayer das Land regieren müssen. Dass es bislang immer anders gekommen ist, sagt uns auch etwas über den Vernunftgrad von Politik.