In der Flüchtlingsdebatte ist ständig davon die Rede, wie kompliziert alles sei. Warum reden wir nicht mal über das, was sich ändern ließe? Zum Beispiel, dass Asylbewerber an zehn Orten gleichzeitig Sozialhilfe beziehen
Der Wirtschaftsredakteur Anton Rainer hat das Foto eines Plakats gepostet, an dem er während einer Fahrt durch Niedersachsen vorbeigekommen ist. Das Plakat steht an einem Kreisverkehr in der Lüneburger Heide. „EUR 11000“, steht darauf, „ab sofort“. Das Geld winkt jedem, der im nahe gelegenen Gut Thansen im Dorf Soderstorf als Koch oder als Servicekraft im Spätdienst anfängt. 5000 Euro gibt es als Begrüßungsprämie, noch einmal 6000 Euro dann als Bleibeprämie, wenn man drei Jahre dabei bleibt.
Wir hören in jeder zweiten Talkshow, wie dringend Deutschland Zuwanderer brauche. Man erklärt uns geduldig, welchen Gewinn die zusätzlichen Menschen für unserer Wirtschaft bedeuten würden. Die gute Nachricht ist: Jeden Tag kommen viele Menschen im arbeitsfähigen Alter über die Grenze. Jung, männlich, kräftig – so sieht in der Regel der Migrant aus, der es aus Afghanistan, Mali oder Syrien zu uns schafft.
Aber auf Gut Thansen kommt keiner an. Leider auch in den Betrieben in München, Hamburg und Frankfurt nicht so wie erwartet.
An einem Mangel an offenen Stellen kann es nicht liegen, dass es mit dem Aufschwung durch Migration nicht klappt. 1,7 Millionen offene Stellen melden die Arbeitsämter. Allein in der Gastronomie fehlen 40000 Servicekräfte.
Bei meinem Bäcker in Pullach hängen drei Stellenanzeigen. Gesucht werden eine Verkäuferin, eine Reinigungskraft und ein Bäcker. Für den Bäcker werden neben übertariflichem Gehalt Dienstwohnung und Dienstwagen geboten. Ich habe nicht nachgerechnet, was das an steuerwertem Vorteil bedeutet, aber mein Eindruck ist: Mit Gut Thansen kann mein Lokalbäcker durchaus mithalten.
Gut, nicht jeder mag um 3 Uhr morgens aufstehen, offensichtlich auch der Migrant aus Syrien nicht. Aber vielleicht um 12 Uhr? Hubert Aiwanger hat recht, wenn er sagt, dass man jedem in drei Stunden beibringen kann, wie man einen Wurstsalat an den Tisch bringt. Dazu bedarf es keiner Sprach- und Grammatikkenntnisse. Woran liegt es also, dass so viele Menschen in Deutschland Zuflucht suchen wie seit langem nicht mehr – aber sie im Arbeitsmarkt nicht ankommen?
Ich habe die vergangene Woche den Experten zugehört, die bei Anne Will und Markus Lanz aufgefahren wurden, um über die neue Flüchtlingskrise zu diskutieren. Es ist alles furchtbar kompliziert – das ist das Fazit, auf das sich jede Runde einigen kann. Es ist auch der Schluss, zu dem die Bundesregierung kommt.
Obergrenzen gehen nicht, weil dies das Asylrecht nicht zulässt. Abschiebungen scheitern daran, dass viele Staaten die Rücknahme verweigern. Auch die Rückführung in sogenannte sichere Herkunftsländer ist kein Weg, da den Grünen die sicheren Herkunftsländer nicht sicher genug sind. Und die Abweisung an der deutschen Grenze wiederum verbietet sich, weil das gegen europäische Regeln verstoßen würde.
Also einigt man sich darauf, dass die eigentliche Lösung darin bestehe, die Fluchtursachen zu beseitigen – Krieg, Armut und Klimakrise. Good luck, lässt sich da nur sagen. Wir sind ja nicht einmal in der Lage, die Klimakrise in Deutschland in den Griff zu bekommen. Ich dachte außerdem, wir wären darüber hinaus zu glauben, dass der Westen alles richten muss, weil es die Afrikaner nicht selbst hinbekommen. Aber ich bin ja auch kein Migrationsexperte.
Eigenartigerweise wird nie davon gesprochen, was sich relativ zügig ändern ließe, ohne dass man sich in Europa abstimmen muss. Eine Frage, die man diskutieren könnte, wäre zum Beispiel, weshalb es so viele Flüchtlinge nach Deutschland zieht. Italien ist auch wunderschön, Frankreich ebenfalls. Gemäßigtes Klima, gutes Essen, reichhaltige Kultur. Trotzdem wollen die meisten zu uns.
Eine naheliegende Vermutung ist, dass es einen Zusammenhang mit den finanziellen Standortbedingungen gibt. Die Polizei in Berlin hat vor ein paar Tagen nähere Angaben zu den drei Drogendealern veröffentlicht, die in Verdacht stehen, im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Der Hauptverdächtige, ein Mann aus Somalia, kommt auf zehn Aliasnamen, wie man bei der Gelegenheit erfuhr, ein zweiter Mittäter auf vier.
Warum lauter Aliasnamen? Ganz einfach, sagte ein Bekannter, der sich mit dem Thema auskennt. Mit jeder Identität lasse sich ein weiteres Mal Sozialhilfe beziehen. Man gibt bei der Aufnahme einfach an, dass man seinen Pass verloren hat. Dann nennt man einen erfundenen Namen und erhält eine entsprechende Aufenthaltsgestattung. Dieses Papier gilt als Passersatz, das auf jeder Behörde akzeptiert wird.
Es wird offenbar auch nicht näher nachgeforscht. Mein Bekannter erinnerte an den Fall des rechtsradikalen Bundeswehroffiziers Franco A., der sich als Syrer ausgab, um seine wahre Identität zu verschleiern. Wenn ein Soldat, der nicht im entferntesten wie ein Syrer aussieht oder redet, als Syrer durchgeht, dann ahnt man, was alles möglich ist.
Bei der Recherche bin ich auf einen Vorschlag aus dem Innenministerium gestoßen, nach dem alle Kommunen Zugang zu einem digitalen Zentralregister erhalten sollen. Eine naheliegende Idee. Niemand im Ministerium rechnet allerdings damit, dass es bald etwas wird. „Auf Grundlage der beiden Diskussionsentwürfe erfolgt nun ein intensiver Erörterungsprozess mit Ländern und Kommunen“, heißt es vorsorglich in dem Papier.
Meine Frau sagt, den Flüchtlingen könne man keinen Vorwurf machen. Jeder reagiert auf die Anreize, die der Staat setzt. Sie kommt aus der Finanzindustrie, in ihrer Welt spricht man von Incentivierung. Das Wort kommt von Incentiv, Ansporn.
Bei einer vierköpfigen Flüchtlingsfamilie summieren sich die staatlichen Leistungen derzeit auf 1400 Euro. Die Leute vom Flüchtlingsrat halten das für skandalös wenig. Für jemanden, der aus einem Dorf in Mali oder Nigeria stammt, klingt es vermutlich eher wie das Paradies auf Erden.
Es gibt den harten Kern, der grundsätzlich etwas gegen Ausländer hat. Diese Leute träumen von einem reinen Deutschland, was immer das sein mag. Vermutlich so eine Art germanisches Disneyland, in dem jeden Abend bei Met und Schweinshaxe deutsches Liedgut erklingt.
Aber das ist eine Minderheit. Die meisten haben nichts gegen Zuzug von außen. Sie sind froh, dass sie nicht mit den Germania-Fans allein gelassen werden. Dass die Deutschen Rassisten seien, halte ich für eine Unterstellung, die vor allem von Leuten am Leben gehalten wird, die ihr Geld damit verdienen, dass sie gegen Rassismus kämpfen. Wäre ich im Anti-Rassismus-Geschäft, würde ich auch behaupten, wie vorurteilsbeladen die deutsche Gesellschaft sei.
Was die Mehrheit allerdings erwartet, ist, dass die Zuwanderer sich dann nützlich machen, wenn sie hier sind. Man kann auch sagen: Sie nehmen die Politiker beim Wort, die ihnen sagen, wie sehr Deutschland von Einwanderung profitieren würde.
Vielleicht muss man doch noch einmal die Größenordnungen nennen, von denen wir reden. Im vergangenen Jahr lagen die asylbezogenen Ausgaben bei 22 Milliarden Euro. Rechnet man die Gelder für die Bekämpfung von Fluchtursachen heraus, ist man immer noch bei 13 Milliarden Euro an asylbedingten Kosten.
Dazu kommt das Bürgergeld für alle, die eine Arbeitsgenehmigung haben. 50 Milliarden geben wir dieses Jahr insgesamt für diese Lohnersatzleistung aus, knapp die Hälfte der Bürgergeld-Bezieher sind inzwischen Ausländer. Das heißt, Leute, die nie in die Sozialkassen eingezahlt haben, erhalten alles zusammen gerechnet 37 Milliarden Euro an staatlichen Transfers. Davon ist nicht einmal bei den striktesten Verfechtern offener Grenzen die Rede.
Ich will ja nicht mäkelig erscheinen, aber bislang sieht es nicht so aus, als ob die Rechnung aufginge, wonach jeder Flüchtling der Wirtschaftskraft des Landes zugutekommt. Wenn wir schon nicht darüber reden wollen, wie sich die Grenzen besser kontrollieren ließen, wäre das nicht vielleicht ein Thema?
© Silke Werzinger
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