Schlagwort: Marco Buschmann

Sag den Namen nicht

Die Regierung will, dass jeder Deutsche einmal im Jahr das Geschlecht wechseln darf. Wer bei der Anrede weiter den alten Vornamen benutzt, dem droht ein Bußgeld von 2500 Euro. Woran sich die Frage anschließt: Sind Transmenschen besonders empfindlich?

Ich war neulich bei der FDP in Pullach. Der Vorsitzende des Ortsvereins hatte mich gefragt, ob ich nicht einmal bei den Liberalen auftreten wolle. Ich habe spontan zugesagt. Ich lebe noch nicht so lange im Isartal. Da kann es nicht schaden, neue Bekanntschaften zu knüpfen. Ich würde auch bei den Grünen auftreten. Aber die trauen sich noch nicht so recht, mich einzuladen.

Nach dem Vortrag kam eine Frau mittleren Alters auf mich zu. Sie stellte sich mir als langjähriges FDP-Mitglied vor. Was ich davon hielte, dass der Justizminister aus ihrer Partei dafür gesorgt habe, dass jeder sein Geschlecht einmal im Jahr ändern könne? Sie habe jahrelang für die Sache der Frauen gekämpft. Der Kampf sei nicht immer leicht gewesen. Sie habe sich so manches anhören müssen. Dass es nun in Zukunft keine Rolle mehr spielen solle, ob jemand als Mann oder Frau geboren sei, könne sie nicht verstehen.

Ich musste gestehen, dass ich ebenfalls ratlos bin. Ich weiß nicht, was die FDP dazu bringt, ausgerechnet in der Gesellschaftspolitik gemeinsame Sache mit den Grünen zu machen. Vielleicht ist man es leid, dass alle in den Medien ständig auf einem rumhacken, und hofft jetzt, mal etwas Nettes über sich zu lesen, wenn man sich als besonders fortschrittlich gibt.

Möglicherweise glauben sie in der Parteispitze auch wirklich, dass es ein himmelschreiendes Unrecht ist, wenn Menschen nicht so oft ihr Geschlecht wechseln können, wie sie das wollen. Statt freie Fahrt für freie Bürger jetzt also freie Geschlechtswahl für die Freunde der Freiheit. Ich kann nur sagen: An der Basis kommt der Beschluss eher mittelprächtig an.

Was bei der Grünen-Jugend ein Renner ist, muss nicht zwingend ein bürgerliches Publikum überzeugen. Wenn die Leute hören, dass ursprünglich schon 14-Jährige die Möglichkeit haben sollten, ihr Geschlecht zu wechseln, notfalls sogar gegen den Willen der Eltern, sinkt die Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft gegen null.

Jeder, der Kinder im pubertären Alter hat, weiß, welche Zwangsvorstellungen Jugendliche ausbilden können. Einige halten sich plötzlich für zu dick. Andere für zu hässlich. Die dritten wollen ihre Haut mit der Tattoonadel malträtieren oder ihre Ohrläppchen zur Bohrung von Tunneln nutzen, durch die anschließend ein Pfeifendeckel passt.

Zum Glück wächst sich das meiste aus. Viele Torheiten lassen sich später wieder korrigieren. Die Folgen von Pubertätsblockern, wie sie bei der Geschlechtsangleichung verschrieben werden, lassen sich irgendwann nicht mehr revidieren. Die Veränderung ist unwiderruflich, deswegen ist bislang ja die Empfehlung eines Arztes Pflicht. Auch das soll sich nach dem Willen der Transaktivisten ändern.

Wenn jemand beschließt, künftig unter einem neuen Namen durchs Leben zu gehen, klar, warum nicht? Der „Stern“ hatte mal einen Redakteur namens Hollow Skai. Er hieß eigentlich Holger Poscich, wie ich später erfuhr. Aber alle Welt nannte ihn Hollow Skai – die Kollegen, die Freunde, der Name fand sogar Eingang ins „Stern“-Impressum.

Wenn der gute Mann eines Tages das Zeitliche segnen sollte, wird sich auf seinem Grabstein der Name eines indianischen Häuptlings finden. Heute ginge das nicht mehr so leicht durch, wegen kultureller Aneignung und so. Als ich mit dem Journalismus anfing, akzeptierte man das noch als Punk.

Wenn ich mich nicht täusche, wird es nicht beim Recht auf den jährlichen Geschlechts- und damit Namenswechsel bleiben. In Nordrhein-Westfalen wird jetzt eine Stelle eingerichtet, bei der man sich melden kann, wenn man Transfeindlichkeit wittert. Alles unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit soll hier zur Anzeige gebracht werden, so hat es die neue Familienministerin in Düsseldorf erklärt. Was wird da gemeldet? Beleidigungen oder Herabwürdigungen ziehen ja heute schon Strafen nach sich, das kann also nicht gemeint sein.

Wie man weiß, ist die Community enorm empfindlich. Einmal aus Versehen den alten Vornamen genannt, und man gilt als transphob. Oder schlimmer noch: als jemand, der Transmenschen die Existenz abspricht. Die Bundesregierung überlegt, ob sie das sogenannte Deadnaming unter Strafe stellen soll. 2500 Euro Bußgeld für jeden, der eine Transperson fahrlässig mit dem Geburtsnamen anspricht.

Ich halte es für eine Frage der Höflichkeit, dass man jemanden so anredet, wie er es als wünschenswert empfindet. Ich nehme auch Rücksicht auf Adels- und Professorentitel, ohne im Einzelnen zu prüfen, ob der Träger über alle nötigen Diplome und Stammbäume verfügt. Aber dass man jemanden auslöscht, weil man ihn falsch anspricht? Das erscheint mir doch etwas weit hergeholt.

Inwieweit ist die Gesellschaft für das persönliche Lebensglück oder -unglück verantwortlich? Das ist die Frage. Hormone schlagen auf die Stimmung. Was man an Medikamenten zu sich nehmen muss, um als Mann dauerhaft den Testosteronspiegel zu senken, ist keine Kleinigkeit. Das bringt vieles durcheinander, möglicherweise auch die innere Balance.

Im Netz bin ich auf den Eintrag einer Frau gestoßen, warum sie vieles aus der Transszene an die Beziehung zu einem narzisstischen Mann erinnere, aus der sie sich mühsam gelöst habe. Der Aufhänger war der Fall einer Musikgruppe, die sich gezwungen sah, eine ausführliche Erklärung abzugeben, weil einer der Musiker, ein Transmann, die Band verlassen hatte.

Die Musikerinnen machten sich große Vorwürfe, dass sie nicht genug Rücksicht genommen hätten. Sie hätten sich vorgenommen, sich komplett um ihren Kollegen und seine Bedürfnisse zu kümmern. Aber sie hätten ihn enttäuscht. Sie kenne das zur Genüge, schrieb darauf die Frau, die sich im Netz Frau Mond nennt: Die Selbstvorwürfe, nie genug getan zu haben, das Gefühl, ständig auf Eierschalen laufen zu müssen, weil ein falsches Wort reiche, um alles zum Einsturz zu bringen.

Wie würde ich reagieren, wenn mein Sohn mir im Alter von 14 Jahren sagen würde, er sei trans? Ich wäre im ersten Moment besorgt. Nicht weil ich denken würde, man könne als Transperson kein glückliches Leben führen. Ich hätte Sorge, dass der Weg dahin schwer wird. Als Elternteil möchte man sein Kind vor allem schützen, was ihm Leid zufügen könnte.

Ich würde meinem Sohn raten, erst mal auszuprobieren, wie das Leben als Mädchen so ist, bevor er etwas tut, was sich nicht mehr ändern lässt. Wenn sich herausstellen sollte, dass es ihm wirklich ernst ist mit dem Geschlechterwechsel, würde ich ihn auf dem Weg begleiten. Ich vermute aber, dass ich weiterhin Zweifel hätte, ob es Meldestellen braucht, bei denen man transfeindliches Verhalten anzeigen kann, oder eine spezielle Gesetzgebung, die es verbietet, jemanden bei seinem alten Namen zu nennen.

Die meisten Eltern machen sich viele Gedanken bei dem Namen, dem sie ihrem Kind geben. Wenn ihre Tochter oder ihr Sohn ihn später ablegen will, ist das der Lauf der Dinge. Aber warum den Namen, den die Eltern ausgesucht haben, so behandeln, als sei er etwas, wofür man sich schämen muss? Er ist mit vielen Erinnerungen verbunden, hoffentlich auch einigen sehr schönen. Ich halte es immer für falsch, wenn man an einem bestimmten Punkt seines Lebens meint, alles hinter sich lassen zu müssen, was einem nicht mehr gefällt.

©Sören Kunz