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Shithole-Sender

Ein junger Journalist wird von seinem Arbeitgeber, dem RBB, des Rassismus bezichtigt. Sein Vergehen? Er hat eines der brutalsten Länder der Welt als „Shithole-Country“ bezeichnet. Das reicht, um bei den Programmverantwortlichen in Ungnade zu fallen

Am Nachmittag des 18. Oktober setzte der Journalist Jan Karon einen Tweet ab, der ihm erst wütende Angriffe von linker Seite und dann eine Schmähung durch seinen Arbeitgeber eintragen sollte.

Der Tweet lautete folgendermaßen: „Somalia ist ein Shithole-Country mit Steinzeitkultur. Wenn ein Migrant aus Somalia zwei Menschen absticht und zwei weitere verletzt, ist das ein Problem. Wenn dies 800 Meter von deinen Eltern am Ort passiert, an dem du aufgewachsen bist, ist das schockierend.“

Wenige Stunden bevor Karon das schrieb, war ein Mann in Ludwigshafen mit einem Küchenmesser auf Passanten losgegangen und hatte wahllos auf die Umstehenden eingestochen. Karon ist in Ludwigshafen groß geworden, im Stadtteil Oggersheim. Als er auf den Fotos vom Tatort einen Drogeriemarkt sah, in dem Polizisten erste Beweise sicherten, erkannte er sofort den Rossmann, bei dem er früher einkaufen war. Das erklärt möglicherweise Betroffenheit und Wortwahl.

Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Verfolger an die Fersen des jungen Mannes hefteten. „Hier macht sich ein als ,freier Reporter‘ verkleideter Rassist breit“, schrieb die Internet-Hetz- und Nervensäge Nils Gerster (2684 Follower), ein unterbeschäftigter Politikwissenschaftler, der sich auf den verspäteten Kampf gegen Nazis verlegt hat. Karon sei vielleicht kein Rassist, sein Tweet aber eindeutig rassistisch, erklärte der Blogger und IT-Anwalt Thomas Stadler (18443 Follower), eine andere (Klein-)Größe des linken Twitter-Kosmos.

Kurz vor Mitternacht, zu einem Zeitpunkt, an dem andere schon zu müde oder zu betrunken sind, um sich noch öffentlich zu äußern, wandte sich schließlich die Autorin Jasmina Kuhnke (138091 Follower) direkt an den Sender, für den Karon arbeitet. „Hallo ARD-Presse und RBB24“, schrieb Kuhnke. „Wisst ihr, was ein (freier?) Mitarbeiter hier auf Twitter von sich gibt? Greift hier nicht sogar Strafgesetzbuch (StGB) § 130 Volksverhetzung? Eine Stellungnahme eurerseits wäre hier angebracht!“

Wenn es ein Land gibt, auf das die Bezeichnung Shithole zutrifft, dann Somalia. Nach allen Kriterien, an denen sich zivilisatorische Standards bemessen, ist das Land die Vorhölle auf Erden. 98 Prozent der Frauen sind genitalverstümmelt, praktisch die gesamte männliche Bevölkerung ist auf Droge. Schwule werden sofort an die nächste Tür genagelt, und bei der Christenverfolgung belegt das Land einen der allerersten Plätze. Es mag Leute geben, die Karons Ausdrucksweise trotzdem für unangebracht halten. Aber ist sie volksverhetzend?

Doch, das ist sie, wenn man dem RBB glauben darf, der ARD-Anstalt, für die Karon über eine Berliner Produktionsgesellschaft hochgelobte Reportagen erstellt. Es ist nach Ansicht des Senders sogar noch schlimmer: Wer sich so äußert wie der junge Reporter (Karon ist gerade 30 Jahre alt geworden), der macht sich der Verbreitung von Menschenfeindlichkeit schuldig.

„Wir verstehen und teilen die Kritik an den Äußerungen und sind mit der Produktionsfirma im Gespräch über mögliche Konsequenzen. Wir als RBB verurteilen jegliche Form von Rassismus.“ So lautete, zwölf Stunden nachdem Kuhnke eine Stellungnahme gefordert hatte, eine Erklärung aus der Pressestelle. Was bis eben die Meinung von ein paar Internet-Krakeelern war, hatte damit den Rang eines quasioffiziellen Verdikts erreicht.

Ich habe mit Karon telefoniert. Innerhalb eines Tages von einer Nachwuchshoffnung, die auch schon für so fortschrittliche Medien wie „Zeit Online“ oder „Vice“ gearbeitet hat, zu einer Art Paria, der von einer Anstalt des öffentlichen Rechts als Rassist hingehängt wird – das kommt nicht alle Tage vor. Da will man doch wissen, mit wem man es zu tun hat.

Man kann sich die Filme, in denen Karon als Moderator eine prominente Rolle einnimmt, online ansehen, sie sind unter der Überschrift „Schattenwelten Berlin“ in der Mediathek verfügbar. In einem Feature geht es um zweifelhafte Wohnungsdeals in der Hauptstadt, in einem anderen über die Rave-Kultur im Untergrund der Stadt. Für November ist die Lieferung einer neuen Staffel verabredet.

©Sören Kunz

Man sollte annehmen, dass sich die Sendeleitung vor den Mitarbeiter stellt, mit dessen Arbeiten man sich schmückt. Oder zumindest mal bei ihm nachfragt, was er sich bei seiner Äußerung gedacht hat, bevor man auf Beschuldigungen reagiert. Auch Fernsehanstalten haben eine Fürsorgepflicht. Aber das scheint beim RBB niemand zu interessieren. „Wir stehen zu unseren Leuten“ ist ein Satz, den man toll findet, solange er von Chefredakteuren auf der Leinwand geäußert wird. Im wirklichen Leben fliegen beim kleinsten Gegenwind die einfachsten Anstandsregeln aus dem Fenster.

Auch alle Hilferufe gingen ins Leere. Eine SMS an die Leiterin Reportage, in der Karon darum bat, dass sich der Sender vor ihn stellen möge, blieb erst einmal ohne Antwort. „Liebe Ute, ich weiß nicht, ob du gerade mitbekommst, was passiert“, schrieb er und schilderte die Anfeindungen, denen er sich ausgesetzt sah, bis hin zu Gewaltandrohungen. „Ich würde mir vor diesem Hintergrund höflich Solidarität wünschen.“

Erst nachdem der RBB den Stab über den Kollegen gebrochen hatte, kam es zu einem Telefonat. Man habe Schaden vom Haus abwenden müssen, erklärte die Ressortleiterin. Die Äußerungen zu Somalia seien kontrovers gewesen, es gehe darum, dass man keine rechten Narrative bediene. Es gab Zeiten, da war „kontrovers“ ein Wort, das auch im Rundfunkhaus in der Masurenallee in Berlin noch einen guten Klang hatte.

Viel war in den vergangenen Wochen vom Finanzgebaren an der Spitze des RBB die Rede. Von Massagesitzen für die Intendantin, zu teurem Parkett und falsch abgerechneten Abendessen. Dass dies ein Skandal sei, darauf können sich alle sofort einigen. Aber für viel bedenklicher als ein paar unkorrekte Spesenabrechnungen halte ich die Feigheit, die sich bis in die höchsten Etagen zieht. Wie es aussieht, gibt es nicht nur Shithole-Countries, sondern auch Shithole-Sender.

Was ist die Lektion, die junge Journalisten lernen, wenn eine Sendeleitung nach der ersten Aufforderung einknickt? Dass es sich auszahlt, mutig seine Meinung zu vertreten, Risiken einzugehen, sich mit Pressure-Groups anzulegen? Eher nicht. Wobei einknicken, genau besehen, das falsche Wort ist. Das setzt ja voraus, dass es zuvor so etwas wie Widerstand gegeben habe. Leute wie die RBB-Leiterin Reportage kommen gar nicht auf die Idee, sich dem Mob entgegenzustellen, weil sie längst flach auf dem Boden liegen.

Es wäre so einfach. Man müsste nur sagen: Mit uns nicht. Es ist in dem Fall – wie so oft – ja noch nicht einmal so, dass der Presserat kopfstünde oder ganz Twitter-Deutschland eine Erklärung verlangen würde. Es sind in der Regel immer dieselben Leute, die im Netz Bambule machen, wenn jemand die von ihnen vorgegebenen Sprachregeln verletzt. Ich könnte mühelos ein Diagramm mit 30 bis 40 Namen der Schreihälse erstellen, die immer dabei sind. Aber viel mehr sind es meist eben auch nicht.

Die Bedrohung für die Meinungsfreiheit geht nicht von Aktivisten wie Jasmina Kuhnke aus, die offensichtlich mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen wissen, als bis tief in die Nacht vermeintliche Feinde auszugraben und anzuzählen. Die wahren Totengräber der Meinungsfreiheit sind die Leute an den Schalthebeln, die aus Bequemlichkeit oder Opportunismus nachgeben.

In vielen Chefredaktionen und Programmetagen denken sie, dass es den Aufruhr dämpft, wenn sie den Krawallmachern entgegenkommen. Interessanterweise tritt meist das Gegenteil ein. Je mehr man Verständnis zeigt, desto eher fühlen sie sich auf der anderen Seite ermuntert nachzulegen. Diese Leute geben erst Ruhe, wenn das Opfer am Boden liegt und nicht mehr zuckt – oder wenn sie zu ihrer Überraschung ignoriert werden. Dann fällt ihnen außer einem großen Lamento nicht mehr viel ein.

Auch das ist dann schnell vorbei. Es sind ja, wie gesagt, nur 30 bis 40 Leute.