Keine Partei hat die Selbstabschottung so weit getrieben wie die Grünen. Viele Grüne verkehren nur noch mit Menschen, die so denken wie sie selbst. Das hat Folgen.
Seit zwei Jahren unterhalte ich zusammen mit der Moderatorin Carolin Blüchel eine kleine Talkshow auf FOCUS Online. Sie heißt „Ist das euer Ernst?“ und beschäftigt sich jeden zweiten Donnerstag mit den Themen der Woche. Die ersten 15 Minuten sprechen wir zu zweit über das Weltgeschehen. Dann kommt ein Gast hinzu, um der Sendung den nötigen Tiefgang zu verleihen.
In der letzten Folge war der Klimaaktivist Raphael Thelen zugeschaltet. Wir sprachen über den Kampf gegen die Kohle, das Ende des Kapitalismus und Che Guevara als Vorbild. Ich bevorzuge Gesprächspartner, die eine andere Meinung vertreten als ich. Man will ja weder sich noch das Publikum langweilen. Der Talk mit Thelen hat gut funktioniert, soweit man das anhand der Einschaltquote beurteilen kann: 500000 Zuschauer alles in allem. Dafür muss man als Politiker viele Klinken putzen.
Jede Woche überlegen wir, wen wir als Nächstes einladen sollten. „Wollen wir nicht einmal bei Sven Lehmann anklopfen, dem Beauftragten der Bundesregierung für sexuelle Vielfalt?“, schlug ich neulich vor. „Wir könnten mit ihm über das neue Transsexuellengesetz sprechen, das jetzt kommen soll. Das interessiert die Leute vielleicht.“
„Super Idee“, meinte Carolin und versprach, gleich am nächsten Tag Kontakt aufzunehmen. Dann hörte ich länger nichts, bis sie mich vergangene Woche anrief, und sagte: „Bei Lehmann kommen wir nicht weiter.“ Der Pressesprecher sei von dem Vorschlag sehr angetan gewesen und habe um Terminvorschläge gebeten. Sie habe den Eindruck gehabt, er könne sich einen Auftritt gut vorstellen.
„Und?“, fragte ich.
„Lehmann hat abgesagt, wegen Terminschwierigkeiten.“
„Kann ja mal passieren, dass jemand kurzfristig keine Zeit hat.“
„Ich habe ihm außer dem nächsten Donnerstag und dem übernächsten auch alle weiteren Donnerstage in diesem Jahr als denkbaren Termin genannt.“
Keine Ahnung, was ein Bundesbeauftragter so treibt. Möglicherweise ist der Einsatz für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt so aufreibend, dass einfach keine Zeit für Interviews bleibt, nicht einmal für eine Viertelstunde zwischendurch. Ich kann Lehmann ja leider nicht fragen, weil er bis Ende des Jahres keine Termine frei hat.
Dann fiel mir auf, dass wir schon alle möglichen Politiker in der Show hatten: Karl Lauterbach und Christian Lindner waren zu Gast, Gregor Gysi, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Ralf Stegner. Aber noch nie jemand von den Grünen. Lehmann wäre der erste gewesen.
„Warum lädst du die nicht ein?“, fragte ich Carolin, die sich in der Regel um die Gästeauswahl kümmert. „Hast du etwas gegen grüne Politiker?“
„Ganz im Gegenteil“, erwiderte sie. Sie habe die komplette Parteiprominenz angeschrieben, mehrfach sogar, von Claudia Roth bis zu Toni Hofreiter. „Aber die haben offenbar alle Angst zu kommen. Bis heute nur Absagen.“
Manche Leute behaupten, die Grünen seien die gefährlichste Partei Deutschlands. Ich halte sie eher für die feigste.
Grüne Politiker reden wahnsinnig gern, das ist nicht das Problem. Sie haben auch zu allem eine Meinung. Der Redefluss von Funktionären wie Ricarda Lang ist kaum zu stoppen. Allerdings reden sie am liebsten mit ihresgleichen, also Leuten, die jedem Satz zustimmen können.
Das ist weniger schwer durchzuhalten, als es sich anhört. In den Innenstadtvierteln mit Altbaubestand, in denen Grüne vorzugsweise leben, treffen sie vor allem auf andere Grüne. Wer hier nicht grün wählt, behält es besser für sich oder ist für immer Außenseiter.
Auch bei Veranstaltungen hat man es so eingerichtet, dass man weitgehend unter sich bleibt. Wenn die Böll-Stiftung zu einer Podiumsdiskussion einlädt, kann man sicher sein, dass nur Menschen anwesend sind, die noch unter schwerstem Alkoholeinfluss den Genderstern sowie die wichtigsten Regeln des Antikolonialismus beherrschen.
Nicht einmal vor der Presse, die normalerweise jedem Politiker das Leben schwer macht, muss man sich als Grüner sonderlich fürchten. Praktischerweise liegt die Parteiberichterstattung über die Grünen mehrheitlich in der Hand von Journalisten, die, wenn sie schon kein Parteibuch besitzen, dann doch Grüne im Herzen sind.
Beim „Spiegel“ zum Beispiel ist Jonas Schaible für die Klimaschutzbewegung zuständig. Ich bin sicher, wenn man Schaible nachts aufweckt und ihn nach Seite 18 des Pariser Klimaabkommens fragt, kann er jeden Satz fehlerfrei aufsagen.
Schaible fand auch die originellste Begründung, warum es total in Ordnung sei, wenn die Grünen in Berlin trotz Wahlschlappe an der Regierung blieben. Die Fixierung auf die Frage, wer an einem Wahlabend gewonnen und wer verloren habe und damit als abgewählt gelte, sei die „Anwendung des journalistischen Neuigkeitskriteriums auf Wahlen“. Die Befassung mit der Schicksalsstunde der Demokratie als Beweis für die Oberflächlichkeit der Medien: Darauf muss man erst mal kommen.
Die Selbstabschottung bleibt nicht ohne Folgen. Wer nur noch auf Menschen trifft, die zu allem nicken, was man sagt, ist ziemlich aufgeschmissen, wenn er wider Erwarten mit Fragen konfrontiert ist, die er nicht hat kommen sehen. Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Verunsicherung lieferte gerade die grüne Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik im Gespräch mit dem YouTuber Tilo Jung.
Slawik gilt als besonders vehemente Kritikerin der Energiepolitik der Bundesregierung. Als Jung sie mit ihrem Abstimmungsverhalten konfrontierte, das in deutlichem Kontrast zu ihren Erklärungen steht, brachte sie das so aus dem Konzept, dass sie minutenlang nach Worten rang. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten, allerdings gingen die Kritiker nicht auf Slawik los, sondern auf Jung. So könne man vielleicht gefestigte Abgeordnete Mitte 40 befragen, aber doch nicht eine junge engagierte Frau!
Eine andere Folge der Entkopplung von Realität ist eher angenehm, so wie nach dem Genuss bewusstseinserweiternder Drogen. Wer davon ausgeht, dass die eigenen Argumente denen der Gegenseite haushoch überlegen sind, für den spielen Wahlergebnisse nur noch eine untergeordnete Rolle.
Die Reporterin Wiebke Hollersen registrierte bei der Wahlparty der Grünen in Berlin mit Verwunderung, wie die ersten Hochrechnungen mit Jubel begrüßt wurden. Die Grünen haben am Sonntag nicht nur ihr Wahlziel, stärkste Kraft zu werden, meilen- weit verfehlt, sie haben auch in absoluten Zahlen verloren. Aber das tat der Stimmung keinen Abbruch. „Die Frage ist nur, was hier gefeiert werden soll, ‚bis die Schwarte kracht‘ (O-Ton Landesvorsitzende)“, schrieb Hollersen.
Aber so ist das, wenn Visionen und nicht Ergebnisse zählen: Dann schwärmt man unverdrossen von dem progressiven Bündnis, dem man zum Durchbruch verhelfen wolle, egal, was der Wähler dazu sagt. Im Zweifel ist er noch nicht reif genug, die Vorzüge zu erkennen, weshalb man notfalls ohne ihn weitermacht.
Wie weit kann man die Selbstabschottung treiben? Ziemlich weit – vorausgesetzt, man ist bei der Wahl der Bundesgenossen nicht zu zimperlich. Dass die sogenannte Fortschrittskoalition auch den ganzen Narrensaum der Linkspartei umfasst, gehört zu den Dingen, über die man bei Grünen und SPD einfach hinwegsieht.
Das Wichtigste aber ist, dass man die eigenen Anhänger zufriedenstellt. Für das als richtig Erkannte Mehrheiten organisieren, mit seinen Argumenten auch anders gesinnte Menschen überzeugen – das ist etwas für politische Anfänger. Die Grünen sind längst weiter. Ihnen reicht es völlig, die Klientel zu erreichen, die schon überzeugt ist.
Der FDP wird immer vorgeworfen, Klientelpartei zu sein. In Wirklichkeit bedient keine Partei so beinhart die Interessen der eigenen Anhänger wie die Grünen. Deshalb ist ihr auch die Zustimmung in den Innenstadtvierteln sicher, egal, wie viele Straßen sie dort noch mit schrecklichen Holzmöbeln sperren werden.
Ach so, lieber Herr Lehmann, wenn Sie das hier lesen sollten: „Ist das euer Ernst?“ läuft jeden zweiten Donnerstag. Sie können gerne vorbeischauen und widersprechen. Wir freuen uns auf Sie!
© Sören Kunz