Sind die Falschen gekommen?

Der Kolumnist dachte lange, ein friedliches Miteinander der Kulturen sei möglich. Jetzt ertappt er sich bei dem düsteren Gedanken, ob nicht doch die Leute recht haben, die immer sagten, wir würden die Falschen ins Land lassen

 Aus dem Polizeibericht der Stadt Berlin von Sonntag, dem 15. Oktober: „Gestern Vormittag alarmierte eine Zeugin gegen 11.00 Uhr die Polizei zu einem Studentenwohnheim an der Lehrter Straße in Moabit. Zuvor stellte sie im Eingangsbereich des Wohnhauses einen mit roter Farbe aufgemalten Davidstern in der Größe von 30 x 30 cm fest…“

„…gegen 13.00 Uhr gestern Mittag erhielt die Polizei Kenntnis von drei Sachbeschädigungen am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg. Die dazu entsandten Einsatzkräfte stellten dort an den Fassaden dreier Wohnhaus Davidsterne mit zugehörigen hebräischen Wörtern fest. Die Einsatzkräfte machten die Farbschmierereien unkenntlich…”

„…Abends, gegen 18.45 Uhr stellten Einsatzkräfte der Polizei in Friedrichshain israelfeindliche Graffiti fest…”

„… gegen 20.30 gestern Abend stellten Polizeieinsatzkräfte auf dem Gehweg der Corinthstraße in Friedrichshain zwei auf eine Rampe zur barrierefreien Überwindung des Bordsteins gemalte Davidsterne fest…”

„…gegen 22.15 riefen Zeugen die Polizei zum U-Bahnhof Pankstraße in Gesundbrunnen. Dort bemerkten sie vorher mehrere israelfeindliche Aufkleber und einen pro-palästinensischen Schriftzug an einem Geldautomaten…”

„…im weiteren Verlauf der polizeilichen Maßnahmen stellten die Polizisten eine Farbschmiererei an der Fassade eines Mehrfamilienhauses am Planufer fest. Dabei handelte es sich um einen durchgestrichenen Davidstern mit einem daneben befindlichen Schriftzug. Symbol und Schriftzug, in den Größen von ungefähr 80 x 60 cm sowie 120 x 45 cm, machten die Einsatzkräfte unkenntlich.”

Und so weiter und so fort. Und das ist, wie gesagt, nur der Bericht vom Sonntag.

Ich bin ein eher heiter gestimmter Mensch, wie Leser meiner Kolumne wissen. Mein Motto auf Twitter lautete bis vor wenigen Tagen: „Zu Tode gefürchtet, ist auch gestorben”, ein Satz des österreichischen Volksdramatikers Johann Nestroy. Ich habe den Satz gelöscht. Er entspricht nicht mehr meiner Geistesverfassung.

Ich dachte immer, wir bekommen das hin: ein relativ friedliches Miteinander der Kulturen. Jetzt ertappe ich mich bei dem düsteren Gedanken, ob nicht vielleicht doch die Leute recht haben, die immer davor warnten, wir würden die Falschen ins Land lassen.

Es sind ja nicht nur ein paar arabische Jugendliche, die auf der Straße ihre Verachtung für Israel zur Schau stellen. Dahinter steht ein fest gefügtes Milieu, in dem es zum guten Ton gehört, Juden für das Unglück der Welt zu halten, weshalb man ihnen auch Dinge antun darf, die sich ansonsten verbieten.

Es lässt sich auch nicht mehr so einfach in den Griff bekommen. Ein Freund hat ein Kind an einer Schule im Berliner Wedding. Vor zwei Monaten sah der Sohn zufällig, dass im Geografiebuch des Klassenkameraden der Staat Israel mit Filzstift unkenntlich gemacht worden war. Weil ihm der Vater eingebimst hatte, dass man gegen Antisemitismus aufstehen müsse, wandte sich das Kind an die Lehrkraft. Er solle keinen Aufstand machen, sagte der Lehrer, das bringe alle nur in Schwierigkeiten. Ein Einzelfall? Nein. So sieht die Realität an deutschen Schulen aus, wie jeder bestätigen kann, der sich auskennt.

Wir dachten, unsere Großzügigkeit würde uns mit Sympathie vergolten. Wer erst einmal die Vorzüge der freien Welt genossen habe, werde selbst zum Fürsprecher derselben. So dachten wir. Aber so ist es nicht gekommen.

Wir werden im Gegenteil dafür verachtet, dass auch Frauen so leben können, wie sie wollen; dass es Schwulen und Lesben erlaubt ist, ihre Zuneigung zu zeigen; dass Minderheiten wie die Transmenschen unter dem Schutz des Staates stehen. Wenn wir ausnahmsweise einmal Härte gegen die Feinde unserer Ordnung zeigen, indem wir ihnen verbieten, aus Freude über den Mord an Unschuldigen auf der Straße zu tanzen, heißt es, wir wollten ein „Pogrom“ veranstalten.

Migration ist ein Nummernspiel. Solange die Zahl der Zuwanderer eine bestimmte Größenordnung nicht übersteigt, führt der einzige Weg, um es in der Aufnahmegesellschaft zu schaffen, über Integration. Wer sich der Anpassung verweigert, bleibt außen vor. Wenn hingegen die Einwanderer-Community, die man vorfindet, groß genug ist, entfällt der Integrationszwang.

Anpassung ist mit Veränderung verbunden, Veränderung bedeutet Stress. Warum sich Stress machen, wenn man ihn vermeiden kann? Also errichten viele eine Kopie der Welt, die sie zurückgelassen haben, wenn sie das können. Damit ändern sich allerdings auch für diejenigen, die schon vorher da waren, die Regeln des Zusammenlebens.

An vielen Schulen beträgt der Migrantenanteil inzwischen 40 Prozent, und er wird weiter steigen. Das hat nicht nur Folgen für die Akzeptanz der Werte, die wir für selbstverständlich hielten, es hat auch Auswirkungen auf das Bildungsniveau. Dass in Berlin inzwischen nur zwei von fünf Achtklässler einfachste Rechen- und Textaufgaben bewältigen, liegt auch am wachsenden Anteil von Schülern, die nie richtig lesen und schreiben gelernt haben.

Wer es sich leisten kann, bringt sich in Sicherheit. Entweder schickt er seine Kinder auf eine Privatschule, wo die Welt noch in Ordnung ist, oder auf eine konfessionelle Einrichtung. Auch hier gibt es Muslime. Aber die stammen ausnahmslos aus Elternhäusern, in denen Antisemitismus als degoutant gilt und Leistungswille als lobenswert. Selbstverständlich hat sich über die Jahre eine migrantische Mittelschicht gebildet, wie die vielen arabischen und türkischen Namen in den Medien oder der Kultur zeigen, nur ist sie gemessen an der Zahl der Einwanderer zu klein.

Ich war lange optimistisch. Auch die Deutschen haben schließlich zur offenen Gesellschaft gefunden. Selbst aus beinharten Nazis wurden passable Demokraten. Sie mussten es allerdings auch werden, das ist möglicherweise der entscheidende Unterschied. In der frühen Bundesrepublik gab es einen Anpassungszwang, dem sich niemand, der etwas werden wollte, entziehen konnte.

Das ist heute anders. Es gibt nicht nur ein lokales Supportsystem, auf das man sich als Zuwanderer verlassen kann. Darüber hinaus besteht eine staatliche Infrastruktur, die jede Kritik als diskriminierend diffamiert, und jeden Aufruf, sich in der Schule zusammenzureißen, als rassistisch.

Vor ein paar Tagen machte ein Video die Runde, indem eine junge Deutsch-Palästinenserin anderen deutsch-palästinensischen Müttern empfahl, ihren Kinder rechtzeitig Begriffe wie „Apartheid”, „Kolonialismus” und „Besatzung” beizubringen. Dass die Frau wie die Jahrgangsbeste eines Antidiskriminierungsseminars redete, lag daran, dass sie Wort für Wort wiedergab, was in diesen Seminaren gelehrt wird.

Wie geht es weiter? Das Problem ist, dass Politiker überwiegend aus einem Milieu stammen, in dem Zureden noch immer geholfen hat. Es hat etwas Rührend-Komisches, wie sie an die Kraft von Bildungsprogrammen glauben. In Berlin hat man es fertig gebracht, sogar Islamisten mit Fördergeldern zuzuschütten, wenn sie dafür versprechen, mal einen Blick ins Grundgesetz zu werfen.

Was also ist zu tun? Ich wäre für radikale Aufklärung. Wer es ablehnt, einen Eid auf das Existenzrecht Israels abzulegen, kann nicht deutscher Staatsbürger werden. Zu viel verlangt? Nun ja. Wir hören schließlich ständig, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei. Da kann man von den Leuten, die Deutsche werden wollen, doch auch verlangen, dass sie diesen Satz unterschreiben.

Ich höre den Einwand: Da sagt doch jeder Opportunist einfach ja. Das stimmt, aber etwas mehr Opportunismus könnte nicht schaden. Auch die alten Nazis haben sich nicht aus Einsicht, sondern aus Konformismus gewandelt.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Unterstützer der palästinensischen Sache ihr Wut nicht auf die Straße tragen würden, wenn sie nicht die Türen ihrer jüdischen Nachbarn mit Davidsternen beschmierten, wenn sie nicht ihre Kinder dazu ermuntern würden, Andersdenkende auf dem Schulhof zu malträtieren.

Wie einer wirklich denkt, das kann man nie wissen. Das bleibt ihm überlassen. Aber wenn jeder seinen Hass für sich behielte, wäre schon viel gewonnen.

© Silke Werzinger

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