ARD und ZDF sind verpflichtet, sich für Frieden und soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Warum finanzieren sie dann mit Gebührengeldern eine der korruptesten Organisationen der Welt?
Am 26. Juli beginnen in Paris die Olympischen Sommerspiele. Wird Russland dabei sein? Das ist die Frage, die das Internationale Olympische Komitee im Augenblick am meisten beschäftigt. Eine Hand wäscht die andere: Wenn es eine Organisation gibt, die dieses Motto versteht, dann das IOC.
Ende März, zum verspäteten Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine, trat der IOC-Präsident Thomas Bach in Lausanne vor die Presse und erklärte, dass es die Achtung der Menschenrechte gebiete, dass die Russen teilnehmen dürften. An die Menschenrechte erinnern sich Leute wie Bach immer, wenn es einen Deal einzufädeln gilt. „Menschenrechte“ sind für sie so etwas wie die rituellen Fair-Play-Appelle: Nicht ernst zu nehmen, aber nützlich, wenn man den Westen beeindrucken will.
Fieberhaft wird nach einem Weg gesucht, den Boykott zu umgehen. Soll man von den Sportlern eine Erklärung verlangen, dass sie den Krieg schlecht finden? Oder soll man den Sportverbänden die Aufgabe übertragen, alle Athleten herauszufiltern, die sich offen für den Krieg ausgesprochen haben? Oder lässt man einfach jeden zu, der sich als neutral bezeichnet? Das wäre dem IOC am liebsten. Neutralität ist noch besser als Menschenrechte.
Man braucht nicht viel Fantasie, wie es in Paris dann zugehen würde. Vor zwei Wochen traf die ukrainische Fechterin Olha Charlan auf die russische Rivalin Anna Smirnowa. Weil auch der internationale Fechterverband nicht an der Tatsache vorbeikommt, dass die Russen in der Ukraine gerade Frauen und Kinder abschlachten, trat Smirnowa nicht als Russin an, sondern als „neutrale“ Sportlerin. Zwei Klicks reichten, um zu sehen, wie es um die Neutralität bestellt war. Auf Instagram posierte sie mit Victory-Zeichen. Gut, Leni Riefenstahl war irgendwie auch immer neutral, wie man weiß.
Die Ukrainerin gewann. Damit war die Sache aber nicht erledigt, weil die unterlegene Russin auf einem Handschlag bestand. Als ihr der verweigert wurde, setzte sie sich für eine halbe Stunde auf einen Stuhl und markierte die Betrogene. So ist das Putin-Russland: unfähig, im fairen Wettkampf zu bestehen, dafür selbstmitleidig und weinerlich und immer bereit, die Opfer-Rolle einzunehmen, bis jemand einlenkt und sagt: „Wir müssen auch die russischen Interessen berücksichtigen.“
Ich kann Thomas Bach verstehen. Diktatoren, die durch Bäche von Blut waten, zeigen sich sehr großzügig, wenn man anbietet, ihnen auf der internationalen Bühne wieder etwas Reputation zu verschaffen. Länder wie Russland haben auch kein Problem mit doppelter Buchführung und verdeckten Geldflüssen.
Der bevorzugte Zahlungsverkehr ist hier ohnehin das Schwarzgeld. Auf dem Papier ist man eine arme Kirchenmaus, so wie ja auch Putin bekanntlich nichts hat – das hält die tonangebenden Köpfe allerdings nicht davon ab, Immobilien auf der ganzen Welt zu besitzen. Mit solchen Leuten gibt es später auch keine Scherereien bei der Rechnungsstellung, vorausgesetzt natürlich, man erfüllt die Erwartungen.
Auf der Liste der korruptesten Organisationen rangiert das IOC ganz oben. Das Olympische Komitee ist so etwas wie der Menschenrechtsrat der UN. Da sitzen auch vor allem Experten für die Umgehung von Menschenrechten. Den aktuellen Vorsitz hat, glaube ich, gerade Libyen inne. Oder war es Kuba?
Erinnern Sie sich noch an die Olympischen Spiele in Rio? Kurz vorher war das gesamte russische Leichtathletikteam des systematischen Dopings überführt worden, plus die Ruderer plus die Gewichtheber, was die trotz Staatsdoping zugelassenen Sportskanonen nicht daran hinderte, unter Aufsicht des IOC ihre Medaillen einzusammeln. Dafür war die russische Läuferin, die den Dopingskandal ans Licht gebracht hatte, von den Wettkämpfen ausgeschlossen. Bei der Cosa Nostra nennt man das „die Leiche im Hof“. Dieses Symbol versteht jeder.
Noch Monate später waren die Ermittler in Rio mit den juristischen Aufräumarbeiten beschäftigt. IOC-Chef Bach zog es vor, Brasilien vorerst nicht mehr zu betreten. Nicht einmal zu den zwei Wochen später stattfindenden Paralympics mochte er erscheinen. Es hatte sich herumgesprochen, dass ihn die Polizei gerne zu seiner Rolle beim illegalen Tickethandel befragt hätte. Das wollte sich Bach lieber ersparen.
Sechs Jahre später in China gab es dann keine Ermittlungen mehr. Ein Land, das eine Million Menschen in Konzentrationslagern hält, weil sie den falschen Glauben haben, kennt keine unabhängige Justiz. Das ist der Riesenvorteil von lupenreinen Diktaturen. Da fühlt sich das IOC-Mitglied naturgemäß sofort wohl. Und der Diktator hält sich an Absprachen. Putin wartete brav mit seinem Krieg, bis die Abschlussfeier in Peking über die Bühne gegangen war. Solche Rücksichtnahme wissen sie beim IOC zu schätzen.
Was ich nicht verstehe, ist, warum wir mitmachen. Es ist ja nicht nur so, dass deutsche Unternehmen stolz darauf sind, Partner der Sport-Mafia zu sein, darunter so respektable Konzerne wie die Allianz, die normalerweise viel Wert darauf legen, dass es bei ihnen korrekt zugeht. Zu den Sponsoren gehören ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Wenn RTL sagen würde: Wer „Adam sucht Eva – Promis im Paradies“ sendet, kann auch Olympia mitfinanzieren – das würde ich verstehen. Aber das vornehme ZDF und die noch vornehmere ARD?
Jedes Unternehmen beschäftigt heute eine Compliance-Abteilung, die darauf achtet, dass es ethisch einwandfrei zugeht. Wehe, bei einem Unternehmen wird bekannt, dass es in Rüstungsgüter oder andere anrüchige Geschäfte investiert! Als Siemens vor Jahren dabei erwischt wurde, wie es in Nigeria ein paar Offizielle schmierte, um Genehmigungen voranzutreiben, musste der halbe Vorstand gehen. Aber bei Olympia scheint alles egal. Sobald die fünf Ringe auftauchen, ist auch die härteste Korruption irgendwie okay.
Mich beschäftigt das Thema seit Längerem. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rundfunkanstalten mit Befugnissen ausgestattet, die ansonsten nur Finanzämter haben. Sollte man da nicht erwarten dürfen, dass sie bei der Auswahl der Geschäftspartner sehr sorgfältig verfahren? Ich habe einen Juristen befragt, der sich mit Medienrecht auskennt. Er wies darauf hin, dass Institutionen, die in den Rang einer Grundsäule der Demokratie erhoben wurden, in besonderer Weise an die Werteordnung des Grundgesetzes gebunden sind.
Man kann es auch nachlesen. Im Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk findet sich folgender Passus: „Der WDR soll die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ein diskriminierungsfreies Miteinander in Bund und Ländern und die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern fördern, zum Frieden und zur sozialen Gerechtigkeit mahnen, die demokratischen Freiheiten verteidigen und der Wahrheit verpflichtet sein.“ Ähnliches findet sich in den Statuten aller öffentlich-rechtlichen Sender.
Ich arbeite aus gutem Grund nicht beim WDR. Ich würde bei einer Institution, bei der die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zentrales Programmziel ist, nicht lange durchhalten. Dennoch finde ich es äußerst fragwürdig, wenn man Mafia-Organisationen wie das IOC oder die Fifa alimentiert.
Dass ARD und ZDF nicht mit den acht Milliarden auskommen, die sie jedes Jahr bei den Gebührenzahlern einsammeln, liegt auch daran, dass sie Unsummen in Sportrechte stecken. Wie viel genau die Rundfunkanstalten dafür ausgeben, dass sie im Zweijahreswechsel erst die Olympischen Spiele und dann die Fußballweltmeisterschaft übertragen, ist nicht zu erfahren. Diese Zahlen werden wie ein Staatsgeheimnis gehütet.
Aber es ist in jedem Fall so viel, dass an anderer Stelle im Programm gespart werden muss, um den Sportzirkus zu finanzieren.
Der Verzicht auf die Subventionierung von Herrn Bach und seinen Compañeros würde also nicht nur dem Programmauftrag entsprechen. Er käme unmittelbar der ebenfalls im Staatsvertrag festgehaltenen Selbstverpflichtung zugute, mit dem Gebührengeld solide zu wirtschaften.
© Michael Szyszka